Nr. 223
Messordnung der Stadtkirche zu Wittenberg -- revidierte Fassung für Kurfürst Friedrich III.
[Eilenburg] , [1522, 13. Februar]

Text
Bearbeitet von Harald Bollbuck

Buchsymbol23r Dasa teglich ein Meß in der alten weiß unnd
form gehalten werd, mit außlassung des
Canons,1 unnd das die wort der benedeiung
teutzsch offenntlich,2 gegen dem proth unnd
weyn gesprochen, das auch die Elevacion
geschee zu einem zceichen,3 undb das darvonc
das volck, d in der predigd unndterweist wurde,
f Und wu Communicanten vorhannden, dief
das sacramentg fordern, den sollh es also nach
iremi gefallen, vom priester selbsj gereichtk
werden,4 Hiertzu soll der priester auch
nit gezwungen sein, zu communicirn, doch
mag er〈,〉lso erl hunger hat, ime allein benedicirn
und sich communicirn.5

Dieweyl auch annder priester mehr in der
pfarr sein, sollen sie erinnert werden, wu
ir einer anstat des pfarrers, oderm seiner caplan,
wu sie zu celebrirn ungeschigkt6, meß halten
bedacht, das er sich derwegen bey dem pfarrer
Buchsymbol23v zuvorn angebe, damit allenthalben in diesen
sachen Cristlich unnd ordentlich gehanndelt
werde.7

Nicht fleischn zue essen in verbotten zeitten〈,〉 erger-
nus zuverhutten,o8

pUrsach dieser ordnung angehabner9 Verneue-
rung ist, das〈,〉 das wir durch manicherley
weiß10 und weg, die in der pfarrr mit der meß
furgenommen〈,〉 was bewegt sein, solchen Rathschlag
unnd unser bedengken, damit der große
Irrthum, so dadurch im gemeynen Man er-
wachssen, mocht verkommen11 werden, furgewant
haben〈.〉

Dieweyl aber nu man hat orden mussen, so
hat es Cristlich anderes nit gescheen mogen
dann das die Worth der gebenedeiung zu teutzsch
vom priester gesprochen werden, auß Ursach
das alles communiciren vergebens ist an12
verstandt der Wort der gebenedeiung, dann
Buchsymbol24r alle krafft des Sacraments, steet in diesen wortten
unnd ist geboten im Ewangelio, das thut in
meinem gedechtnus13, auff das man auß diesen
wortten der Benedeyung, die frucht des tods
Cristi lernen sollen〈.〉p14


adavor gestrichene Überschrift Abschyed den herren von der ∣ universitet und Capitell der ∣ messen halben gegeben b
bam Rand hinzugefügt b
cüber der Zeile hinzugefügt b
d-düber der Zeile hinzugefügt für gestrichen soll b
eüber der Zeile hinzugefügt für gestrichen in der predig b
f-fam Rand hinzugefügt für gestrichen das es wilkurlich sey eynem yden unther eyner ader zweyen gestalt b
gfolgt gestrichen zu b
ham Rand hinzugefügt b
iüber der Zeile hinzugefügt für gestrichen seynem b
jam Rand hinzugefügt b
kfolgt gestrichen soll b
l-lfehlt a
müber der Zeile hinzugefügt für gestrichen und b
nfolgt gestrichen offent b
oes folgt Freiraum a
p-pfehlt b

1Gleich die erste Verfügung verdeutlicht den Kompromisscharakter der Messordnung: Einerseits bestimmt sie die Rückkehr zur alten Gestalt des Gottesdienstes und folgt damit der kfstl. Instruktion vom 19. Dezember 1521, die forderte, die Ordnung der Messe nicht zu verändern. Andererseits verbleibt sie bei der Auslassung des Kanons in der Messe gemäß 14. Artikel der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung von Ende Januar 1522 (KGK 219 (Textstelle)). Möglicherweise lag dem Kurfürsten tatsächlich nur an der symbolischen Durchsetzung der von ihm verfügten Ordnung und Beruhigung von Universität und Stiftskapitel mittels Integration der unterschiedlichen Lehrmeinungen, wie es Krentz, Ritualwandel, 209 f. vermutet.
2Ebenso werden die Einsetzungsworte weiterhin im reformerischen Sinn auf Deutsch gesprochen. Diese Satzung ist nicht in der Stadtordnung festgehalten, sondern im Bericht Christian Beyers an Hugold von Einsiedel vom 25. Januar 1521: »Da spricht der prister offentlich verba consecracionis zu teutzsch […].« (Müller, Wittenberger Bewegung, 174 Nr. 75). Dort heißt es auch: »Der Canon hat sich vorborgen.«
3Karlstadt wollte die Elevation abschaffen; vgl. KGK 227 (Textstelle). Für Luther war sie ein rituelles Zeichen, das das Kirchenvolk an die Einsetzungsworte erinnert; vgl. WA 8, 447,17–20. Der Kompromiss folgte dieser Deutung als Zeichen; der alte Opfercharakter wurde abgelegt.
4Die Forderung, dass die Kommunion nur bei Anwesenheit von Kommunikanten zu erfolgen habe, ist Thema der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung; s. KGK 219 (Textstelle). Der Zusatz, dass die Ausgabe des Sakraments »nach irem (scil. der Kommunikanten) gefallen« erfolgen solle, kann auf eine Austeilung des Leibs Christi in die Hand der Kommunikanten hinweisen. Diese Forderung wurde in der Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung ebenfalls zur Satzung; vgl. KGK 219 (Textstelle). Zu dieser Praxis (aus reformgegnerischer Sicht) vgl. den Brief von Johannes Dölsch an Peter Burckard vom 3. Februar 1522; s. Schottenloher, Berichte, 89 f.
5Vgl. die Wittenberger Stadt- und Kirchenordnung, Artikel 14 (KGK 219 (Textstelle)).
6unpassend, ungeeignet. Vgl. DWb 24, 842 Nr. 3.
7Andere Priester können in Absprache mit dem Pfarrer der Stadtkirche, Simon Heins, einen Gottesdienst abhalten. Karlstadt hatte dies erstmals zu Neujahr 1522 und danach noch öfter in Absprache getan. Vgl. KGK 220 (Anmerkung).
8Der Einschub deutet darauf hin, dass die Gebote, an gewissen Festtagen und Freitagen kein Fleisch zu essen, nicht mehr eingehalten wurden. Johannes Dölsch teilte am 3. Februar 1522 Peter Burckard (in Ingolstadt) in einem Brief empört mit, dass in Wittenberg nur noch der Sonntag geehrt werde, alle anderen Feiertage nicht mehr. Vgl. Schottenloher, Berichte, 90.
9begonnener. Vgl. DWb 1, 370 f.
10Weise.
11überkommen, zu grunde gehen, verschwinden, beseitigen. Vgl. DWb 25, 679 f.
12ohne.
13Vgl. Lk 22,19 Vg »hoc facite in meam commemorationem.«
14Die letzten beiden Absätze (von »Ursach« an) sind aus der Stellungnahme der Universitätsvertreter zu den Neuerungen der Messe vom 13. Februar 1522 wörtlich übernommen (KGK 222 (Textstelle)).

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