1. Überlieferung
Handschriften:
Nachlass Stephan Roth; eigenhändige Abschrift.
Abschrift Christoph Schappelers.
Frühdrucke:
Frühdrucke:
ALIA. ∥ De ſacramento panis, & eius promiſſione.
in:
Luther, Martin; Karlstadt, Andreas Bodenstein von; Melanchthon, Philipp; u. a.
CHRISTIANISSI∥MI VVITTENBERGENSIS GYMNA∥ſij, multarum Diſputationū paradoxa & plane enigmata in ∥ Papiſtica illa mendacijs confuſiſſima Eccleſia:uulgaria ∥ uero ueræ Chriſti Eccleſiæ pronūciata. Atqʒ ex his ∥ lector iudicabis, quid agatur in uere Chriſtia/∥na ſchola, quāqʒ hæretica ſit Lutecia, & ∥ omnes filiæ eius. ∥ AVCTORES SVNT, ∥ Martinus Lutherus. ∥ Andreas Caroloſtadius. ∥ Philippus Melanchthon. &c. ∥ [Am Ende:] EXCVSAE ANNO DOMINI ∥ M. D. XXI. MENSE ∥ SEPTEMBRI. ∥
[Basel]: [Adam Petri], , fol. b2r–b3r.
4°, 8 Bl., a4–b4 (b4v leer).
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, M: Li 5330 Slg. Hardt (38, 656).Weitere Exemplare: UB Basel, FM1 XI 9:7.
Bibliographische Nachweise:
- Benzing, Lutherbibliographie, Nr. 819.
- VD 16 C 2306.
DE SACRAMENTO PANIS ∥ ET EIVS PROMISSIONE. ∥
in:
Luther, Martin; Melanchthon, Philipp; Karlstadt, Andreas Bodenstein von
LVTHERI , ∥ MELANCH. CAROLOSTADII &c. ∥ PROPOSITIONES, VVITTEM⸗∥BERGAE uiua uoce tractatæ, in hocq́; ple∥ræq; æditæ ab auctorıbus,ut uel nos abſentes ∥ cum ipſis agamus,uel certe ut ueri⸗∥tatis, & ſeductionum ad∥moneātur boni. ∥ Sunt autem id genus, ∥ De ∥ Miſſa & celebratione eius. ∥ Sacramento panis & uini. ∥ Promißione & præcepto. ∥ Fıde & operibus. ∥ Cantu Gregorıano. ∥ Coniuratıone ſpirituum. ∥ Cœlıbatu preſbyterorum. ∥ Decımis ac uotis. &c. ∥ BASILEAE. M. D. XXII. ∥ [Am Ende:] BASILEAE ANNO ∥ M. D. XXII. ∥
Basel: [Adam Petri], 1522, fol. D6r–D8r.
8°, [56] Bl., A8–G8, fol. A1v und G8v leer.
Editionsvorlage:
BSB München, Polem. 3020, 13.Weitere Exemplare: ÖNB Wien, 77.Cc.281. — RFB-Luthergedenkstätten Wittenberg, Ag 8 548d. — RFB-Luthergedenkstätten Wittenberg, SS 1516. — RFB-Luthergedenkstätten Wittenberg, SS 2272. — RFB-Evangelisches Predigerseminar Wittenberg, LC590/1. — RFB-Evangelisches Predigerseminar Wittenberg, NH C13/3.
Bibliographische Nachweise:
- VD 16 L 7642.
Editionen:
- Riederer, Disputationen, 53 Nr. 2.
- Clemen, Praepositus, 34–36.
- Rudloff, Bonae litterae, 15–24.
Literatur:
- Riederer, Disputationen, 73–79.
- Jäger, Carlstadt, 203.
- Fischer, Beichte 2, 190 f.
- Barge, Karlstadt 1, 285 f. mit Anm. 104–106 u. 476 Nr. 10.
- Rudloff, Bonae litterae, 135–144.
2. Entstehung und Inhalt
Die Transkription folgt der in Zwickau aufbewahrten Abschrift durch Stephan Roth1, da diese das Präskript mit dem Titel der Disputation, den Namen von Praeses Karlstadt und Respondent Jakob Propst2 von Ypern, der Promotionsstufe und dem Zeitpunkt der Disputation wiedergibt. Da diese Abschrift aber die Disputationsthesen als fortlaufenden Fließtext reproduzierten, wiederholt unsere Edition nicht deren fehlende Gliederung, sondern strukturiert den Text in Thesenform.
Über die Datierung der Disputation herrschte lange Unklarheit. Schon am 13. Mai 1521 war der »religiosus pater Jacobus Iperensis S. Theologie lector et prior Antwerpiensis« unter dem Vorsitz Karlstadts zum Baccalaureus biblicus promoviert worden.3 Die von Löscher unter der Überschrift »D. Jacobi Praepositi disputatio Wittenbergensis de spiritu et litera« überlieferten Thesen wurden fälschlich der später stattgefundenen Lizentiatenpromotion von Propst zugewiesen,4 aber sie standen in keinem Zusammenhang mit einer Promotion Propsts, waren sie doch von Justus Jonas für die Promotion des Nicolaus Coci am 18. November 1522 aufgestellt worden.5
Tatsächlich ergeben sich Zeitpunkt und Anlass für die Disputation von Thesen dieser in drei Thesenblöcke unterteilten Editionseinheit aus der Zwickauer Handschriftenüberlieferung. Demnach wurde über die erste der drei Thesenreihen am 12. Juli 1521 anlässlich der Promotion Jakob Propsts zum Lizentiaten unter dem Präses Karlstadt disputiert.6Die beiden folgenden Thesengruppen (De votis und »De confessione delictorum«) scheinen unmittelbar davor ebenfalls disputiert worden zu sein. Eine Nachricht Wolfgang Capitos an den päpstlichen Gesandten Hieronymus Aleander aus Halle vom 13. Juli 1521 bestätigt dies: »Carolostadius disputavit contra vota monachorum et confessionem auricularem Wittenbergae; dominus Carolus Milticius mihi affirmavit, quod se autore elector Saxoniae Fredericus tractatum confessionis impedivisset; at contra mihi heri per literas significaverunt, quod publice expensae sint.«7 Laut Karl von Miltitz habe also Karlstadt in Wittenberg Thesen gegen Mönchsgelübde und Ohrenbeichte disputiert. Auf Veranlassung von Miltitz hätte Kfst. Friedrich III. die Behandlung der Beichte zu verhindern versucht, doch sei Capito am Vortag (12.7.1521) brieflich unterrichtet worden, dass die Thesen bereits öffentlich ausgegeben worden seien. Dies deutet darauf hin, dass diese beiden Disputationen unmittelbar vor dem 12. Juli abgehalten wurden und dass Miltitz über die sieben Thesen »De confessione delictorum« bereits im Vorfeld informiert war, den Hof benachrichtigt und dieser ihre Disputation zu verhindern gesucht hatte.
Karlstadts Verweis in der 17. These auf die Dekretale Omnis utriusque sexus fideli8, die die jährliche Ohrenbeichte zum Osterfest festlegte, lässt vermuten, dass er sich bereits früher mit dem Thema beschäftigt hatte und erste Überlegungen in einer Thesenreihe gipfelten, bei der es sich dann um die des hier vorliegenden zweiten Blocks handeln könnte. Luther hatte in seiner Gründonnerstagspredigt vom 28. März 1521 auf die Hürden in Form von guten Werken und Beichte gezielt, die die römische Kirche, der Papst und die scholastische Wissenschaft als Zugangsvoraussetzungen zum Empfang des Sakraments aufgebaut haben.9 Warum Karlstadt diese Fragestellungen aber erst im Juli wieder aufgreift, sollte er sich im Anschluss an Luthers Predigt damit beschäftigt haben, ist allerdings unklar.
Die 31 Conclusiones sind in drei thematische Blöcke untergliedert, die, wie gezeigt, augenscheinlich Gegenstand unterschiedlicher Disputationen waren: (1.) 16 Thesen vom [Abendmahls-]Brot und dessen Verheißung; (2.) 8 Thesen von Gelübden; (3.) 7 Thesen von der Beichte der Verfehlungen.
Block 1 beginnt in Thesen 1 und 2 mit der Feststellung, dass das Sakrament des Brotes für die einzelnen Sünder eingerichtet worden sei und alle Sünder einzeln würdig das Brot zu sich nehmen. Die Thesen 3 bis 5 thematisieren die Würdigkeit des Kommunikanten, die letztlich im Glauben an die Verheißung, dessen Zeichen das Brot ist, liege – eine Verbindung zum 3. Block, da die römische Kirche die Ohrenbeichte zur Voraussetzung für eine Teilnahme an der Kommunion machte. Für Karlstadt aber ist der Glaube zentral, wie in jeder Hinsicht auf Heil, göttliche Ruhe, Frieden Christi und wahren Sabbat (Th. 6 und 7). Die kultische Verehrung des Sakraments sei ein Irrtum der Päpste und hindere die Sünder an der Kommunion (Th. 8). Das einladende Wort Gottes aber ermutige das Gewissen der Sünder und der Schwachen, es treibe an, wodurch sie das lebendige, vom Himmel gesandte Brot heißer begehrten und eiliger hinzuliefen, um von den Sünden geheilt zu werden (Th. 9). Der empfange würdig das Sakrament, der weiß, dass er es würdig empfängt, d. h. der Glaube und seine Sünden bekenne (Th. 10). These 11 wechselt die Perspektive vom Empfänger auf die zweifachen Zeichen der Verheißung im Sakrament von Fleisch und Blut, mächtiger als die Zeichen sei aber der Bund der Worte (Th. 12 mit Verweis auf die Instruktion Abrahams). Denn das Zeichen stehe für die Erinnerung an das Zeugnis Christi und für die Verheißung der Gerechtigkeit (Th. 13), das Zeichen des Fleisches für die Rechtfertigung (Th. 14). Doch nützten Fleisch als sogar Verheißung nichts, wenn der Glaube sie nicht mit dem Wort verbinde, daher rechtfertige die Verheißung [allein] nicht (Th. 15). Leider sei zu vermuten, dass viele den Satz, dass Christus für die Christen zur Gerechtigkeit wurde, mehr traktiert als verstanden hätten (Th. 16).
Der 2. Block, mit den acht Thesen über Gelübde, setzt mit der Rechtsstellung der Frau ein. Frauen, die in der Gewalt ihrer Väter oder Ehemänner stünden, könnten ein Gelübde ablegen, aber ohne Zustimmung des Bürgen dieses nicht erfüllen (Th. 17). Ein Mann bzw. der Ehemann, ohne vorherige Verurteilung, haben das Recht, Gelübde, die Frauen abgelegt haben, zu bestätigen oder zu lösen (Th. 18). Erfüllt eine Frau ein Gelübde ohne Kenntnis des Mannes, begehe sie eine Sünde (Th. 19). Da nun alle Frauen einem Mann verlobt seien (nämlich Christus), könnten sie selbst keine Gelübde ablegen (Th. 20). Alle Gelübde seien aufzuheben, solange gilt, was Paulus verkündet hatte, dass die jüngeren Witwen, die wieder heiraten wollten, zu verschmähen seien, d. h. Klostergelübde seien aufzuheben, da sie nicht eingehalten würden (Th. 22). Es sei zu wünschen, dass ein Gelübde auf eine Verheißung nicht an der Altersschwelle der Franziskanermönche von 60 Jahren hänge, sondern dass der Gläubige durch Kraft wie Wort und Gepräge der Schrift dazu getrieben werde. Doch stehe Paulus dagegen, der sagte, dass die Menschen den Glauben zuerst verschmähen (Th. 24).
These 25, die erste aus Block 3 über die Beichte, stellt fest, dass die Beichte der Sünden (die die Päpste verdreht hätten) nicht gemäß biblischem Recht erfolge, das allein göttlich sei. Denn es sei [in der römischen Kirche] möglich, dass jemand so viele Sünden bekenne, wie er wolle (auch keine einzige), und trotzdem Absolution erbitte, wenn er sich dem Priester zeige (Th. 26). Der Papst habe die Dekretale Omnis utriusque sexus fideli10 [die die Osterbeichte festlegte] erlassen und sie weder dem alten noch dem neuen Gesetz angepasst (Th. 27). Allerdings räumt Karlstadt ein, dass es Zeichen gebe, mit denen einige den Priestern ihre Sünde in der Beichte anzeigten, jedoch seien sie nicht sicher noch offenbarten sie die Art der Sünde – vermutlich ein Verweis auf die Beichtpraxis Taubstummer (Th. 28). Tatsächlich könne außerhalb der Notfallsituation, die durch das Evangelium erlaubt sei, den Laien gebeichtet werden und diese gemäß göttlichem Gesetz absolvieren (Th. 29). Der römische Papst habe dieses Gesetz auf wenige Kuttenträger begrenzt, um einen Vorrat an Sorgen der Gläubigen anzulegen und, falls nötig, den Drang des Herzens ausgraben und erschmeicheln zu können (Th. 30). Klug sei, wer vorher bedenke, was oder wieviel er beichtet. Denn durch gewisse Dinge, die von den gebeichteten Vergehen hervorgerufen werden, verwandele sich Medizin in ein tödliches Gift (Th. 31).
Zu den obigen Bemerkungen Capitos passt eine Aussage Luthers in einem Brief an Melanchthon am 13. Juli 1521, die sich vermutlich ebenfalls auf die letzten sieben der 31 Conclusiones bezog. Demnach hatte SpalatinLuther mitgeteilt, dass Thesen über die Beichte noch nicht disputiert wurden, weil der Kfst. Friedrich III. es untersagt habe. Luther missfiel diese Rücksichtnahme auf den Hof und er forderte dazu auf, die Disputation mutig abzuhalten11 – was in der Zwischenzeit bereits geschehen war. Am 1. August äußerte er sich, erneut gegenüber Melanchthon, nun aber negativ über Karlstadts Interpretation von 1. Tim 5,9–12.12 Diese Bibelstelle haben die Thesen 22, 23 und 24 der vorliegenden 31 Conclusiones zur Referenz, allerdings scheint Luther auf den Zusammenhang der 7 Conclusiones de coelibatu (KGK 181) und Super coelibatu (KGK 190) zu rekurrieren.