Nr. 150
Confutatio adversus defensivam epistolam Ioannis Eckii
1520, [März]

Einleitung
Bearbeitet von Harald Bollbuck

1. Überlieferung

Frühdruck:

[A:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
CONFVTATIO ANDREAE CA=‖ROLOSTADII EDITA ‖ Aduerſus defenſiuam epiſtolam Ioannis Ec=‖kij, quam temere cōſcripſit, pro aſſertione de=‖ridiculæ & anxiæ inuentionis,qua dixit Lip=‖ſię,dum acriter vrgeretur, ‖ Bonum opus eſt a deo totum, ‖ ſed non totaliter. ‖ LECTOR. ‖ ¶ Permulta cōperies,quę Theologū ‖ eruditum mediocriter,poſſunt ‖ adiuuare plurimum. ‖¶ Habes item hic ridiculas argutaſ & ſerias cō-‖certatiōes Eckij & Caroloſtadij. notabis attente legē‖do, ̅ ſtupidū & ieiunū ſit Eckij ingenium, Deiñ,̅ ‖ violente at ꝑturbate in minimis hæreat, maxima ‖ ac firmiſſima superuolet ,at ̅ prorſus Eckiū nihil ‖ pudeat pigeat ue, pro defenſione criminationē,pro ‖ solutionibꝰ cōuicia, pro explicationibꝰ ſcripturarum ‖ dialeicas logicaleſue nænias effundere,vide,perpē‖de,pronuncia. ‖ Vuittenbergæ,apud Melchiorem ‖ Lottherum Iuniorem, Anno ‖ M.D.XX. ‖ [TE]
Wittenberg: Melchior Lotter d. J., 1520.
4°, 16 Bl., A4–D4. – TE.
Editionsvorlage:
ÖNB Wien, 77.Dd387.
Weitere Exemplare: UB Leipzig, Kirchg. 948/18. — UB München, 4° Theol. 5464#1. — [A₁] UB Leipzig, Kirchg. 1038-f/18. — [A₁] BSB München, Res/4 Polem. 2498#Beibd.11. — [A₁] UB München, 4° Theol. 5464#17. — [A₁] LH Wittenberg, Kn A 1/4. — [A₁] LH Wittenberg, Kn B 45/295. — [A₁] RFB Wittenberg, LC 708/7. — [A₁] HAB Wolfenbüttel, H: P 304a.4 Helmst. (7). — [A₁] HAB Wolfenbüttel, H: Yv 143.8 Helmst. (4).
Bibliographische Nachweise:

Alle nachgeprüften Drucke haben ein Komma zwischen »Lip=‖ſię« und »dum«, einige allerdings in schwacher bis sehr schwacher Ausprägung, sodass Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 27 einst ein fehlendes Komma annahm. Die Variante A₁ (der die meisten gesichteten Exemplare zuzuordnen sind) weist einen Druckfehler auf fol. D2r auf. Das Blatt trägt den Bogenaufdruck »Cij«. Die folgende Zählung ist wieder korrekt. Daher ist bei A₁ von einer ersten, dann korrigierten Pressvariante auszugehen. Im Münchener Exemplar der Variante A1 sind nach Blatt A2 zwei Blätter (A3 und A4) aus der Epistola (Version [B:])2 eingebunden. Danach folgt korrekt Blatt A3 der Confutatio. Eine unbekannte Ausgabe in 7 statt 4 Bögen könnte sich in einer Angabe aus der Bücherliste Thomas Müntzers verbergen: »Confutacio Andreę Karlstadii adversus defensivam epistolam etc. 7 [scil. arcus].«3

Literatur:

2. Inhalt und Entstehung

Die polemische Schrift Confutatio ist Karlstadts letzter publizistischer Akt seiner langwierigen Auseinandersetzung mit Johannes Eck im Gefolge der Leipziger Disputation. Am 4. Februar 1520 (dem Tag nach St. Blasius), als er von einer Reise nach Wittenberg zurückgekehrt war, lag Karlstadt ein neues, besonders aggressiv-polemisches Defensivschreiben4Ecks vor, das dieser, datiert auf den 3.12.1519, explizit gegen seine Epistola (KGK II, Nr. 140) gerichtet hatte. Bereits auf den folgenden Tag, den 5. Februar, datiert Karlstadt den Widmungsbrief der Confutatio an Otto Beckmann.5 Doch ist dieser als Anfang der Niederschrift zu verstehen,6 die Karlstadt, zutiefst von Ecks Schrift verletzt, wie in rasender Wut anging. Luther schaute dem Schreibprozess aus nächster Nähe besorgt zu, gab allerdings zu bedenken, dass Ecks Schrift tatsächlich ungeheurliche und schändlichste Angriffe enthalte.7 In seiner erregten Gemütsverfassung plante Karlstadt scheinbar zuerst, die Gegenschrift Contra brutissimum asinum et assertum doctorculum etc. (»Gegen den dümmsten Esel und das angemaßte, kümmerliche Doktorlein etc.«) zu betiteln. Da Luther augenscheinlich nicht auf den argwöhnischen Karlstadt einwirken konnte, bat er noch am Tag der Widmungsdatierung Georg Spalatin, mäßigend einzugreifen – ohne Karlstadt von Luthers Intervention zu erzählen, da er seinen Rat nicht mehr annehme.8 Die Situation Karlstadts scheint sich tagelang nicht gebessert zu haben. Am 8. Februar, also drei Tage später, schrieb Luther erneut betrübt Spalatin an, dass Karlstadt Anwürfe gegen Eck schleudere, so begründet dessen Wut angesichts noch nie gesehener, schändlichster, umverschämtester und gemeinster Attacken aus Ingolstadt auch sei.9 Daraufhin muss sich Spalatin Mitte/Ende Februar mit zwei heute verloren gegangenen Schreiben an Karlstadt gewandt haben,10 auf die dieser in seinem Furor nicht unmittelbar antwortete. Erst am 23. Februar schreibt er, dass sich die Confutatio nun im Druck befinde, nachdem er sie auf Spalatins Geheiß geglättet und die schlimmsten Beschimpfungen entschärft habe.11 Tatsächlich jedoch strotzt die Schrift weiterhin vor Invektiven, was Karlstadt nach der Drucklegung auch Spalatin nicht mehr verheimlichen konnte. Daher verzögerte er die Übersendung der Publikation bis in den späten März 1520 mit der Entschuldigung, sie aus Rücksicht auf Spalatin bisher nicht verschickt zu haben, da er sich für die Schrift schäme, die harscher als versprochen ausgefallen sei.12Karlstadt bekennt, dass er, die Schrift in Händen, dem Gegner in der Diktion ähnlich und damit sich selbst als Autor gegen seinen Willen betrogen habe, ja sich selbst zum Feind geworden sei.13 Die Selbstbezichtungen mögen unter dem Eindruck entstanden sein, dass Spalatin ihn gewarnt habe und ihm nun die Genehmigung für kommende Publikationen entzogen werden könnte, doch ist ebenso zu verzeichnen, dass Karlstadts folgende Schriften, die erst in gehörigem zeitlichen Abstand entstanden, einen anderen Charakter zeigten.14 Angesichts des Schreibens vom 23. Februar zur Drucklegung und seines späteren Bekenntnis einer verzögerten Lieferung ist die Veröffentlichung der Confutatio auf Anfang März 1520 zu datieren.

Die Confutatio ist in Form eines fiktiven Dialogs gehalten, inspiriert von Augustinus und Lorenzo Valla,15 der in 130 gezählten Punkten die Aussagen des Dialoggegners Eck widerlegt. Dessen fiktive Argumentation beruht inhaltlich zwar im Wesentlichen auf dessen während der Leipziger Disputation sowie in seinen polemischen Büchern, vor allem dem letzten,16 getätigten Aussagen, doch ist sie absichtlich schwach, wirr, bibelfern, scholastisch und ichbezogen gehalten. Gerahmt ist der Text mit der Widmung an Otto Beckmann17 am Anfang und der Aufforderung an denselben zum Ende des Werkes, gemeinsam mit den anderen Wittenberger Lehrern Eck als Verteidiger der Sophisten zu ächten und ein »Schwein« wie diesen in seiner Suhle zurückzulassen.18 Abgeschlossen wird die Schrift mit einer ironischen Widmung an Johannes Eck.19

Die Confutatio behandelt noch einmal Fragen,20 über die Karlstadt in seiner theologischen Argumentation und seinem reformatorischen Denken (Bußlehre, Gelassenheit, innerer Mensch, Ekklesiologie) im Wesentlichen längst hinweggeschritten war. Wieder geht es um die bereits in der Epistola ausführlich diskutierte Problematik, ob Gott die Gnade – wie Eck schon in Leipzig behauptet hatte – »totum, sed non totaliter« dem Menschen zuweise.21 Dabei befasst sich Karlstadt auch mit Ecks jüngster Volte, der nun die Gnadenzuweisung in tabellarischer Form erfasste und meinte, dass sich der Heilsvorgang in vier Stufen abspiele: Der inspiratio (a solo deo) folge ein acquiescere inspirationi (a libero arbitrio). Die iustificatio erfolge dann a solo deo, doch in ihr zu verbleiben sei ein gemeinsam von Gott und dem freien Willen getragener Vorgang, die permanentia (a deo et libero arbitrio). Demnach verhalte sich der Anteil Gottes am guten Werk zum Anteil des freien Willens wie 2½ zu 1½.22 Ein gleiches Verhältnis ordnet Eck der Begriffsreihe vocatio, auditio, conversio, perseverantia zu, ebenso der motio Dei (mit der Begriffsfolge consensus voluntatis, iustificatio, continuatio bonorum operum).

Karlstadt setzt sich nicht wirklich mit dieser erratischen und vollkommen konstruierten Rechtfertigungslehre Ecks auseinander, sondern fertigt sie mit einer Beleidigung ab.23 Dabei ist daran zu erinnern, dass Eck in seiner letzten Schrift Karlstadt in unvergleichlicher Weise zu einem Tölpel und Narren gemacht hatte, und dieser führt an einer Stelle der Confutatio die Schimpfworte Ecks auf,24 gibt sie ihm aber in ähnlicher Diktion zurück. Breit wird noch einmal der Vorwurf Ecks diskutiert, dass Karlstadt seine Argumente in Leipzig vorgelesen habe, während umgekehrt Eck von Leipziger Bettelmönchen Zettelchen zugesteckt worden seien.25 Auch diese Thematik war bereits hinreichend in der Epistola besprochen,26 von Eck aber erneut aufgenommen worden,27 sodass sich Karlstadt zu neuerlichen Erwiderungen gezwungen sah. Schließlich zog sich ein Streit über den Nachweis einer Hieronymusstelle hin, den Eck noch immer nicht geliefert hatte.28

Anschließend an die Diskussion um die Lesart einer Textstelle bei Bernhard von Clairvaux, beschäftigt sich Karlstadt mit Abweichungen in Augustineditionen29 wie auch mit unterschiedlichen Interpretationen von Bibelstellen bei Erasmus und Lorenzo Valla,30 stellt aber auch eine Methodik vor, wie unterschiedliche Lesarten der Bibel zu behandeln seien.31 Dabei sei der Originaltext mit der allgemeinen Lesart zu vergleichen, welche sich häufig nicht als zuverlässig erweise. Die Texte der Kirchenväter seien bei der Textrekonstruktion mit einzubeziehen, doch letztlich siege der apostolische Text. Die Kanonizität des Textes besitzt eine höhere Autorität als die Heiligkeit des Autors.32 Desweiteren teilt die Confutatio weitere Informationen über das Umfeld der Leipziger Disputation mit. So erfahren wir, dass Karlstadt in Leipzig mit dem Humanisten Petrus Mosellanus, der die Eröffnungsrede zur Leipziger Disputation gehalten hatte, Kontakt pflegte.33Friedrich von Salza, der Leibarzt des Kfst. Joachim I. von Brandenburg, habe Karlstadt bei Tisch gegen Eck verteidigt.34 Der Erfurter Druck der Akten der Leipziger Disputation lag Karlstadt laut Eigenaussage vor.35 Erneut gibt er Planungen für neue Werke bekannt.36 Schließlich erwähnt Karlstadt seine Handbibel, ein Exemplar aus der Offizin des Jacob Mareschal in Lyon.37


1UB München , 4° Theol. 5464#1.
2S. KGK II, Nr. 140, S. 516.
3Vgl. TMA 1, 479,18. Hinweis von Prof. Dr. Ulrich Bubenheimer.
5Datiert auf »S. Agatae« = 5. Februar, vgl. KGK 150 (Textstelle). In der Widmungsvorrede verkündet Karlstadt auch den Eingang der Schrift Ecks, vgl. KGK 150 (Textstelle). Zu Beckmann s. u. KGK 150 (Anmerkung) und KGK 150 (Anmerkung).
6So auch Barge, Karlstadt 1, 178 Anm. 138 gegen Seidemann, Leipziger Disputation, 74 Anm. 2.
8Vgl. WA.B 2, 30,12–23, Nr. 249.
9Vgl. WA.B 2, 36,15–18 u. 22f., Nr. 251.
10Vgl. KGK 147 und KGK 148.
14Darauf wies bereits Barge, Karlstadt 1, 180 hin.
15Vgl. Zorzin, Flugschriftenautor, 180 Anm. 66.
17Otto Beckmann (1476–1540), Jurist, Lic. decr., war zu dieser Zeit Syndikus am Allerheiligenstift (1517–1523). Vgl. MBW 11, 135; Bünger/Wentz, Brandenburg, 119; 135f.. S. auch die folgende KGK 150 (Anmerkung).
18KGK 150 (Textstelle). Barge, Karlstadt 1, 178 weist darauf hin, dass Beckmann bereits ein Jahr zuvor, am 24.2.1519, Spalatin seine skeptische Haltung gegenüber der Reformbewegung mitgeteilt hatte (Löscher, Reformations-Acta 3, 90f.). Möglicherweise wollte Karlstadt ihn mit der Widmung seiner scharfen Polemik auf eine nicht minder scharfe aus der Feder Ecks zu einer Entscheidung motivieren.
19An den unüberwindlichen Triumphator Eck, s. KGK 150 (Textstelle).
20Zu ihrem Inhalt vgl. auch Barge, Karlstadt 1, 177–180.
21Vgl. hierzu KGK II, Nr. 131, S. 314; S. 349, Z. 2; Z. 11; S. 350, Z. 21; S. 351, Z. 1f.; S. 359, Z. 19f.; S. 361, Z. 13; Z. 16; S. 363, Z. 9; Z. 17; Z. 28; S. 369, Z. 5; S. 374, Z. 4, Z. 13; S. 375, Z. 12; Z. 25 und KGK II, Nr. 140, passim.
23Wenn Karlstadt meint, dass ein Blatt (»charta[m]«), mit dem Eck prahle, allenfalls dazu diene, sich mit diesem den Hintern abzuwischen (KGK 150 (Textstelle)), vermutet Barge, Karlstadt 1, 179 in eben diesem Blatt die Tabelle Ecks, die seine seltsame Rechtfertigungslehre entfaltet.
26KGK II, Nr. 140, S. 519 Anm. 30; S. 528, Z. 4–8; S. 547, Z. 1. Vgl. auch KGK II, Nr. 131, S. 346 Anm. 202.
27Eck, Contra Bodenstein (1519), fol. A3r; B4r–v; C3v.
28KGK 150 (Textstelle). Mit Bezug auf KGK II, Nr. 132, S. 421, Z. 10 – S. 422, Z. 4: »und endlich am letzten/ hat er ein Authoritet Hieronymi fuͤrgebracht […] sie begert/ er solte mir sein allegirt Autoritet zeigen/ oder sein buͤcher geben/ dazu wolt ich in ein falsarium schelden/ das ich im rechten tun koͤnde/ wenn gefunden/ das er williglich falsch allegirt/ Aber der gut Doctor zeiget mir noch nichts.« S. auch KGK II, Nr. 132, S. 421, Anm. 9f.; S. 422, Anm. 15; vgl. KGK 150 (Anmerkung).
34KGK 150 (Textstelle). Zu Friedrich von Salza vgl. KGK II, Nr. 140, S. 515, Anm. 4. Eck, Contra Bodenstein (1519), fol. A4v kommentierte die Verteidigung Karlstadts durch Salza negativ. S. auch Seidemann, Leipziger Disputation, 68; Barge, Karlstadt 1, 166.
35KGK 150 (Textstelle). Vgl. KGK II, Nr 131, S. 312, Anm. 208.
36KGK 150 (Textstelle). Vgl. KGK II, Nr. 140, S. 577, Z. 3f. und Anm. 312: »De peccatorum meritis, vel de peccatis bonorum operum […].« S. auch Zorzin, Flugschriftenautor, 227 Nr. 10.
37KGK 150 (Textstelle). Durch die angeführten Zitate konnte nachgewiesen werden, dass es sich um die Ausgabe Biblia (1514) handeln musste. Vgl. KGK 150 (Anmerkung).

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