Nr. 139
Franziskanerdisputation
Wittenberg, 1519, 3. und 4. Oktober

Einleitung
Bearbeitet von Timo Janssen

1. Überlieferung

Frühdruck:

[A:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
Octaua propoſitio. ‖ Franciſcus vir catholicus et totus apoſtolicꝰ cruci‖fixi Iheſu veſtigijs ſic ſe ingenti diligentia ſtuduit ‖ confoꝛmare. ‖ […] ‖ Propoſitio nona. ‖ Vexilliferum et autcſignannm diuum Franciſcuꝣ ‖ elegit per quam vitam paſſionem Jheſu volu⸗‖it renouare. ‖
in:
Luther, Martin; Karlstadt, Andreas Bodenstein von; Melanchthon, Philipp; u. a.
⁌ Incipiunt diſputationes Minoꝛitice habite ‖ Wittenberge in eoꝛum conuentu quarto die ‖ Octobꝛis Anno.m.ccccc.xix. in eoꝛum ‖ capittulo triennali ibidem ꝓ tunc ‖ celebrato. ‖
[Leiden]: [Jan Seversz], [1520?], fol. A7r‒A8v.
8°, 12 Bl., A8, B4.
Editionsvorlage:
SUB Göttingen, 8° H.E. Ord. 104/20 Rara, DigitalisatLinksymbol.
Bibliographische Nachweise:

Editionen:

Literatur:

2. Inhalt und Entstehung

Im Rahmen des Anfang Oktober in Wittenberg abgehaltenen Provinzkapitels der Franziskaner fand am 3. und 4. Oktober eine Zirkulardisputation1 statt, in deren Kontext Andreas Karlstadt als Mitglied der theologischen Fakultät Wittenbergs gegen die hier edierten Thesen 8 und 9 disputierte.2 Die Datierung folgt einerseits dem Druck A, auf dessen Titelblatt das Datum des 4. Oktober vermerkt ist, und andererseits einem Brief Luthers an Staupitz vom Abend des 3. Oktober 1519.3 In diesem erwähnt Luther eben jene Franziskanerdisputation, die am folgenden Tag fortgeführt werden solle.4 Vergleicht man den Druck mit Luthers Brief, so bleibt unklar, inwiefern und wann die im Druck erwähnten Opponenten, also auch Luther selbst, in diese Disputation eingriffen. Entweder begann die Disputation zwischen den Franziskanern und den Vertretern der Wittenberger Universität bereits am 3. Oktober und ging auf den nächsten Tag über5 oder die Franziskaner disputierten zuvor dieselben Thesen »unter sich«, während die Wittenberger zuschauten und erst am folgenden Tag in die eigentliche Disputation mit den Franziskanern eintraten.6 Die Disputation als solche steht wiederum im Kontext einer Reihe von Auseinandersetzungen, die die Wittenberger zur inneren und äußeren Ausdifferenzierung ihrer Lehre führten; sie kann als beispielhaft für das gemeinsame Auftreten der Wittenberger Theologen im Sinne ihrer reformatorischen Lehre gelten.

Der erste und unmittelbar im Kontext der Franziskanerdisputation stehende Konflikt ergab sich mit den observanten Franziskanern in Jüterbog und fiel in die Fastenzeit des Jahres 1519. Dort hatte Franz Günther, ein Schüler Luthers,7 in der Nicolaikirche gegen Beichte, Fasten und Heiligenverehrung gepredigt, sodass sich der dort ansässige observante Franziskanerkonvent veranlasst sah, gegen die für sie provokante Ansichten einzuschreiten. Eine Aussprache allerdings erfolgte nicht, vielmehr wurde der Streit durch die Einbeziehung weiterer Anhänger der Wittenberger Reformation, darunter ein nicht eindeutig identifizierbarer Augustiner-Lektor8 aus Wittenberg und Thomas Müntzer9, weiter gesteigert. Letztlich wandte sich der Franziskaner-Lektor Bernhard Dappen10 mit jeweils einem Brief an den Brandenburger Bischof Hieronymus Scultetus11 und an seinen Generalvikar Jakob Gropper.12 Diese beiden waren wiederum in die Hände Luthers geraten, der daraufhin ein Antwortschreiben verfasste.13 In diesem Brief vom 15. Mai 1519 ging Luther nicht nur inhaltlich auf die Vorwürfe der Franziskaner ein und verteidigte die Aussagen seiner Anhänger als schriftgemäß, sondern machte auch deutlich, dass seine »Lehre« bereits seit drei Jahren »an unserer Universität« von »scharfsinnigen und aufmerksamen Männern« betrieben worden sei und er sich dagegen verwahre, dass sie nun von ungelehrten Franziskanern als häretisch beurteilt werde.14 Dadurch deutete Luther die Vorwürfe Dappens nicht auf sich allein, sondern erkannte in ihnen einen Angriff auf die Wittenberger Kollegen im Ganzen. Weiter rief Luther zu einer Rücknahme der Vorwürfe der Franziskaner auf, ansonsten würde er ihren Orden durch die Veröffentlichung ihres Schreibens und dessen Widerlegung brüskieren.15

Der Streit erfuhr einige Monate später durch Eck eine Ausweitung, als diesem, unmittelbar nach der Leipziger Disputation, die zwei Briefe Dappens»contra Luteranos« von Bischof Hieronymus Scultetus übergeben wurden und er auf dessen Ersuchen hin in knapp zwei Stunden ein Gutachten dazu anfertigte.16 Mitte August war dieses Gutachten wiederum bei Luther angelangt und veranlasste ihn, eine Gegenschrift zu diesem und gegen die Jüterboger Franziskaner zu verfassen.17 Sie erschien Ende September bei Lotter d. Ä. in Leipzig18 unter dem Titel Contra malignum Eccii iudicium defensio.19 Obgleich Luther die Veröffentlichung seiner Antwort auf Bitten einer Delegation, die vom sächsischen Provinzial der observanten Franziskaner Johannes Amberg20 nach Wittenberg geschickt worden war, noch verhindern wollte,21 konnte der Druck nicht aufgehalten werden, sodass Luther am 30. September bereits in der Lage war, Günther ein Exemplar zukommen zu lassen.22

In diese Gemengelage fiel nun das in Wittenberg stattfindende Provinzialkapitel und die damit verbundene Franziskanerdisputation. Ein Provinzialkapitel war notwendig geworden, nachdem im Lyoner Generalkapitel vom 11. Juli 1518 die sächsische Ordensprovinz neu eingeteilt worden war23. Die observanten Franziskanerklöster, darunter auch die Jüterboger, bildeten von da an die Provincia Saxoniae Sanctae Crucis und die »martinianisch« geprägten Franziskaner24, wie auch die Wittenberger, wurden in die Provincia sancti Joannis Baptistae zusammengefasst. Als Gerhard Zöthelm zur Visitation in die beiden Provinzen geschickt worden war, beauftrage er die Martinianer damit, ein Provinzialkapitel in der Kustodie Magdeburg abzuhalten.25 Die Wahl fiel letztlich auf Wittenberg, wozu die ansässigen Franziskaner den Kurfürsten in einer Bittschrift um Erlaubnis baten.26 Als Grund des Kapitels führten sie Angelegenheiten »von der eynikeyt, uff das es zcu einem ßelligen ende nach dem willen Gottes gebracht mocht werden«, an.27 Was das Provinzialkapitel in Wittenberg diskutierte und entschied, ist nach gegenwärtigem Stand der Forschung in Details nicht überliefert worden28; die im Rahmen des Kapitels abgehaltene Zirkulardisputation allerdings wurde in einem protokollartigen Druck festgehalten.

Dabei handelt es sich nicht um ein notarielles Protokoll, sondern um eine anonyme Mitschrift, deren unbekannter Verfasser29 in tendenziöser Weise den Verlauf und Inhalt der Disputation wiedergibt30: Die Rolle der Opponenten wird breiter als die der Respondenten entfaltet, deren Aussagen meist gekürzt wiedergegeben werden.31 Die Opponenten finden namentliche Erwähnung, die andere Seite bleibt anonym.32 Präsentiert werden zuallererst, auf dem Titelblatt, die einzelnen Thesen:33

1. Satz: Gnadenvoll beschloss die göttliche Güte, im Greisenalter der Welt eine bestimmte neue Ritterschaft seiner streitenden Kirche erkennen zu geben (Opponent: Philipp Melanchthon).

2. Satz: Der heilige Franziskus sei in ihr Gleichbild umzugestalten, und zwar habe er seraphische Wirkungen (Opponent: Philipp Melanchthon).

3. Satz: Zu dieser erwählte sie als Bannerträger und Vorkämpfer den gottgemäßen Franziskus, durch den sie das Leben und Leiden Jesu erneuern wollte (Opponent: Nikasius Claji).

4. Satz: Franziskus, der katholische und ganz apostolische Mann, trachtete, sich so mit ungeheurer Sorgfalt den Fußspuren des gekreuzigten Jesus gleichzugestalten (Opponent: Johannes Dölsch).

5. Satz: Die Echtheit der Stigmata des seraphischen Vaters teilt nicht nur mit [die Historie, sondern auch der Glaube]34, und ein einleuchtendes Beispiel bringt die Durchbohrung der gottgeweihten Hände und Füße bei (Opponent: Sebastian Küchenmeister, Nikolaus Amsdorff, Martin Luther).

6. Satz: Deswegen mögen schweigen die ganz verkehrten Taboriten, die häretischen Böhmen, die gegen die gottgeweihte Ordensgemeinschaft des gottgemäßen Franziskus kläfften (Opponent: Martin Luther).

7. Satz: (Wdh. von 5; Opponent: Martin Luther).35

8. Satz: (Wdh. von 4, Opponent: Andreas Karlstadt).

9. Satz: (Wdh. von 3; Opponent: Andreas Karlstadt).36

10. Satz: Es ist überhaupt jene Observanz der Ordensleute zur Zeit der Apostel eingesetzt, und nicht wegen der [Einhaltung durch alle]37 Christen, wie die Verleumder [sagen]38, und so weiter (Opponent: Philipp Melanchthon).

11. Satz: Es ist besser für einen Theologen, mit den vorzüglichsten Vätern des orthodoxen Glaubens sich aufs Faseln einzulassen als mit einigen Leuten, gering an Wissen und Lehre, Ungewöhnliches zu sinnen, um nicht zu sagen: verwegenen Unsinn zu treiben (Opponent: Philipp Melanchthon, Martin Luther).

Anhand der elf aufgelisteten Thesen können nun Aussagen über die Konstitution der Disputation sowie die Rolle Karlstadts innerhalb dieser gemacht werden. Zum einen ist es auffallend, dass der Reihenfolge eine gewisse Hierarchie innewohnt. Sie scheint nämlich den akademischen Rang der Opponenten abzubilden.39 Da Melanchthon erst kürzlich am 19. 9. 1519 den niedrigsten theologischen Rang erworben hatte, steigt er ein.40Karlstadt, als dienstältester Doktor der Theologie, beschließt die Reihe.41 Zum anderen gibt der Druck nur acht inhaltlich unterschiedliche Thesen wieder; die restlichen drei sind Wiederholungen vorheriger. Diese lassen wiederum vermuten, dass den Opponenten in irgendeiner Weise die Thesen bekannt waren, sodass sie die jeweiligen Thesen, zu denen sie opponieren wollten, auswählten. Indem Karlstadt ausschließlich Thesen wiederholend aufgriff, scheint seine Rolle darin bestanden zu haben, die Debatte an diesen Punkten zuzuspitzen.42 Zum dritten lässt sich beobachten, dass die Thesen abgesehen von einer Vertauschung der 2. und 3.43 bis zur 6. einem argumentativen Schema folgen und erst ab These 10 mit einem neuen Themenkreis einsetzen. Die ersten sechs Thesen stehen hierbei im Kontext einer Rückbesinnung auf Franziskus44 und werden durch eine in apologetischer Ausrichtung gegen die Böhmen formulierte 6. These geschlossen.45 Ab These 10 steht eine Verhältnissetzung bzw. Abgrenzung zur Wittenberger Theologie im Vordergrund der Diskussion. Dabei richtet sich die 10. These vermutlich gegen die schon in Jüterbog von dem unbekannten Augustinereremiten ausgesprochene Äußerung, dass von jedem Christen die Einhaltung des gesamten Evangeliums gefordert werde.46 Die 11. These wiederum könnte direkt gegen die Wittenberger Theologie polemisieren. Für Theologen sei es nämlich besser, sich mit den »Vätern des orthodoxen Glaubens« als mit »Halbwissern und Doktörchen« einzulassen.47

Dass zumindest Luther von dem Jüterboger Konflikt – der Druck seiner Schrift gegen Eck lag nur wenige Tagen zurück48 – in seiner Vorgehensweise geprägt war, ist in seinem Bericht an Staupitz, aber auch in den Äußerungen der Disputation spürbar.49 Obgleich der tendenziöse Druck den Wittenbergern breiteren Raum gewährt und somit allein formal eine Überlegenheit ihrer Theologie insinuiert, dokumentieren ihre schriftgestützten Argumentationen eine existentielle Wucht, die auch vor einer grundsätzlichen Kritik des Ordenslebens nicht Halt machte.50 Die sich meist auf die Tradition berufenden Aussagen der Franziskaner wurden von den Wittenbergern, die allein der Schrift Autorität zusprachen, nicht anerkannt und dementsprechend kritisch hinterfragt.51 Durch Berufung auf die »Richterin Schrift«52 erfolgte für die Wittenberger eine endgültige Scheidung zwischen menschlicher Satzung und göttlichem Recht, sodass sich alle Aussagen, die sich auf Traditionen beriefen, so auch die franziskanische, dieser unterordnen mussten.53

Karlstadt selbst argumentierte in den von ihm disputierten Thesen Nr. 8 und 9 (eigentlich Nr. 4 und 3) inhaltlich im Sinne der Wittenberger Theologie. Nachdem Dölsch gegen die in der 4. These behauptete Apostolizität und evangelische Vollkommenheit des Franziskus die unbedingte Sündhaftigkeit menschlichen Handelns angeführt hatte,54 weitete Karlstadt in seiner Auseinandersetzung mit dieser These die Kritik auf den gesamten Orden aus.55 Indem die Franziskaner die Vollkommenheit ihres Lebenswandels im Zeichen des Armutsgebotes aus der Lebensweise des Franziskus ableiteten,56 würden sie einerseits ein äußeres vor ein inneres, geistliches – somit wahrhaft christliches – Leben setzen57 und andererseits sich der Idolatrie schuldig machen, da sie Franziskus in die Nähe von Christus rückten.58 Die Herleitungen ihrer abergläubischen Grundlagen59 für das Armutsgebot erkannte Karlstadt nicht an,60 weil sie erstens von allen Christen gefordert werde61 und zweitens die Franziskaner selbst an ihrer Umsetzung haderten62; überdies unterzieht er ihre Bettelarmut einer grundsätzlichen Kritik. Indem Karlstadt 5. Mose 15,4 als »ius divinum« gegen das Betteln interpretiert63 und Paulus als Beleg für eine christliche Lebensweise in Arbeit anführt64, wird Bettelei zur Sünde vor Gott.65

Bereits Nikasius Claji machte in seiner Argumentation gegen die 3. These die Überlegung deutlich, dass Franziskus von den Franziskanern an die Stelle Christi, der der eigentliche Vorkämpfer der Christen sein solle, gesetzt worden war.66Karlstadt nutzt diese These seinerseits dazu, sie mit der zentralen Erkenntnis der reformatorischen Rechtfertigungslehre in der 9. These zu konfrontieren.67 Es sei nämlich Franziskus oder auch den Franziskanern schlichtweg nicht möglich irgendetwas wiederherzustellen68, weil dies allein Gott bewerkstelligen könne.69 Die Existenz des Sünderseins negiert nach Karlstadt sämtliche Vollkommenheit, auf die sich der Mensch von sich aus stützen könne.70 Anschließend nimmt Karlstadt ein Argument Clajis, der gegen die Franziskaner Christus als eigentlichen Namensgeber der Christen Franziskus gegenüberstellt hatte,71 wieder auf und formt daraus einen Vorwurf des Schismas.72 In Anlehnung an den ersten Korintherbrief (1. Kor 1,10; 12,25; 1,13) begründet er dies durch die namentliche Bezugnahme der Ordensmitglieder auf Franziskus (»franciscani«).73 Indem Karlstadt als Gegenbegriff die »christiani«74 in Anschlag bringt, lässt er letztlich nur noch eine dem Christen gemäße Begründung auf Christus zu. Sämtliche anderen Berufungen würden nur auf Spaltungen hinauslaufen.75 Diese Erkenntnis sei sogar derart existentiell, dass nach Karlstadt auch Luther mit seiner Existenz als Bettlermönch ringen würde.76

Im Anschluss an die Franziskanerdisputation finden sich noch weitere Auseinandersetzungen, die Karlstadt ähnlich wie Luther als Einzelner für die Wittenberger Sache gegen die Franziskaner verfocht. Publizistisch lassen sie sich in den Schriften gegen Franziskus SeylerVom Vermögen des Ablass77 und Von geweihtem Wasser und Salz78 greifen, die beide in der zweiten Hälfte des Jahres 1520 erschienen sind, sowie in seiner Antwort […] geweicht Wasser belangend79 gegen den Franziskanermönch Fritzhans, vom Anfang des Jahres 1521.


1Eine vergleichbare Disputationsart erkennt Hammer in der Heidelberger Disputation Luthers vom 26. April 1518. Hierfür führt er mehrere Analogien an (siehe WA 59, 666): 1. Eine Universitätsstadt wurde als Austragungsort eines Ordenskapitels gewählt (Heidelberg/Wittenberg), 2. Ein Ordensmitglied mit Doktorgrad stellte die Thesen auf (Luther/Jakob Schwederich und Petrus Fontinus), 3. Die jeweilige theologische Fakultät übernimmt die Rolle der Opponenten (WA.B 1,173,23–174,l47 Nr. 75); die Annahme, dass es sich hierbei um eine Zirkulardisputation gehandelt haben müsste, ergibt sich aus der Formulierung Luthers an Staupitz, dass Jakob Fuhrer (zu ihm s. u. KGK 139 (Textstelle)) »hodie pro circulo respondit« (WA.B 1, 515,71 Nr. 202); vgl. auch WA 59, 666 Anm. 248; zum mittelalterlichen Disputationswesen vgl. Schubert, Libertas Disputandi, 411–442, bes. 414–418.
2Die erste Untersuchung und eine den gesamten Text umfassende Edition der Franziskanerdisputation findet sich bei Hammer, Militia Franciscana sowie in WA 59, 606–697, ebenfalls von Hammer.
3Vgl. WA.B 1, 513–517 Nr. 202.
4WA.B 1, 515,54.66f. Nr. 202: »Minores apud nos, capitulo coacto, disputant de stigmatibus S. Francisci et gloria ordinis sui, […] Erffurdiensis fuit, qui haec disputavit […] Cras Petrus Fontinus disputabit, […]«.
7Bei Franz Günther handelt es sich um einen aus einer Nordhausener Bürgerfamilie stammenden Theologen, der seit dem 13. Mai 1514 in Wittenberg studierte (AAV 1, 56), dort am 9. Juli 1518 zum Baccalaureus sententiarius promoviert wurde (DigitalisatLinksymbolLiber Decanorum, 22) und u. a. als Respondent bei der Disputatio contra scholasticam theologiam Luthers vom 4. September 1517 mitwirkte (WA 1, 221–228). Nach Dappens Aussage fungierte er im Horizont des Konfliktes als Prediger des Stadtrates (vgl. TMA 3, 40f.,7–10 Nr. 5). Bensing/Trillitzsch vermuten hierbei, »daß es sich nicht um die Berufung eines gerade stellenlosen Geistlichen an eine gerade vakante Stelle gehandelt hat, sondern um ein planmäßiges Vorgehen des Jüterborger Stadtrates und des Wittenberger Reformkreises« (Bensing/Trillitzsch, Dappens Articuli, 116).
8Dappen spricht in seinem Bericht von zwei Lektoren der Augustiner-Eremiten, die im Gefolge Franz Günthers auftraten (vgl. TMA 3, 40f.,15–17 Nr. 5). Bei dem Ersteren handelt es sich um Konrad Helt, Prior des Wittenberger Augustiner-Eremitenklosters; letzterer kann allerdings nicht eindeutig zugewiesen werden (vgl. Bünger/Wentz, Brandenburg, 440–499). Schlageter vermutet hier Gabriel Zwilling (zu ihm siehe Schlageter, Franziskaner, 12 Anm. 31), der als im Februar 1519 graduierter Magister Artium dort aufgetaucht sein könnte (vgl. Köstlin, Baccalaurei 1517–1537, 16f).
9Nachdem Franz Günther wegen Beleidigung der Äbtissin angeklagt worden war, zog sich dieser zeitweilig von der Predigttätigkeit zurück und ließ sich an seiner Statt von Thomas Müntzer vertreten (vgl. TMA 3, 44f.,1–9 Nr. 5). Müntzer wiederum, der sich nachweislich einige Male von 1517 bis 1519 in Wittenberg aufgehalten hatte, lieferte sich mit den Franziskanern über Ostern, 24.–26. April 1519, ein auf den Kanzeln ausgetragenes Wortgefecht (vgl. Bräuer/Vogler, Müntzer, 70–79; vgl. Bubenheimer, Müntzer, 146–193).
10Franziskanerpater und Lektor des observanten Jüterboger Klosters, sowie Verfasser der beiden vom Jüterboger Konflikt berichtenden Briefe, die später, wahrscheinlich von Eck veranlasst, als Articuli per fratres minores de observantia propositi reverendissimo domino episcopo Brandenburgensi contra Lutheranos im Druck erschienen, vgl. WA.B 1, 388f. Nr. 174; siehe auch Bünger/Wentz, Brandenburg, 404f. und 408; zu Dappen als theologischer Gegner der Reformation vgl. Schlageter, Franziskaner, 303–313; in seiner späteren Schrift Sermo de libertate chrstiana bezeichnet DappenMüntzer und Karlstadt im Horizont des Bauernaufstandes als »populi seductores«, vgl. Schlageter, Franziskaner, 312 Anm. 448.
11Die Rolle von Hieronymus Scultetus (1465–1522), seit 1507 Bischof von Brandenburg, innerhalb des Jüterboger Konflikts ist ambivalent. Auf der einen Seite verfolgte er eine schlichtende Tendenz, beispielsweise in Bezug auf den Ablassstreit (WA.B 1, 161f. Nr. 67) und die sich anbahnende Leipziger Disputation, die er verhindern wollte (WA.B 1, 326f. Nr. 145), auf der anderen Seite war er es aber, der zugleich Eck im Nachklang der Leipziger Disputation die Briefe Dappens übergab (vgl. KGK 139 (Textstelle)).
12Die zwei Briefe erklären sich aus der Abwesenheit des Bischofs und der Zurückhaltung Groppers, die Angelegenheit nicht ohne Mitwissen des Bischofs anzugehen (vgl. TMA 3, 40,1–5).
13Inwiefern die zwei Briefe zu Luther gelangten, ist nicht bekannt. Bensing/Trillitzsch, Dappens Articuli, 126, Anm. 73 vermuten, dass ScultetusLuther diese ähnlich wie das Gutachten Ecks zugespielt hatte.
14WA.B 1, 389–393 Nr. 174, bes. 389,21–390,26.
15WA.B 1, 389,15–18 Nr. 174.
16Eck berichtet über die Anfertigung seines Gutachtens im Widmungsbrief an Leonhard von Eck, datiert auf den 19. Oktober 1519, folgendermassen: »[…] Finita disputatione Lipsica, […] iter illac fecit illustrissimus princeps elector Do. Ioachimus Marchio Brandenburgensis, […]: qui, […] me ad clementiam suam illustrem vocari fecit per strenuum D. Caesarium Pflug, cingulo miliciae decorum; ubi inter prandendum multus sermo de disputatis habitus est. Aderat et incomitatu Reverendissimus dominus Episcopus Brandenburgensis [vgl. KGK 139 (Textstelle)], qui me tamen primum agnoscens, pro sua humanitate ad edes suas vocabat, et oblata fratrum S. Francisci de observantia epistolis duabus, de duobus magistris praedicantibus petiit sua Reverendissima paternitas, ut quid de illis articulis ibi contentis sentirem, dignarer aperire. Cum autem Theologus ,paratus esse debeat reddere rationem omni poscenti« (Eck, Ad offensionem (1519), fol. A1v = Eck, Briefwechsel, Nr. 95).
17Zusätzliche Informationen zur Vorgeschichte vgl. WA.B 1, 387–389 Nr. 174; zur Verbreitung der Schrift durch Scultetus und zur ersten Reaktion Luthers auf das Gutachten Ecks, siehe Brief Luthers an Spalatin vom 18. August 1519, WA.B 1, 503,16–29 Nr. 194; vgl. auch KGK 135 (Textstelle).
18So berichtet Luther am 3. September 1519 an Johannes Lang, WA.B 1, 506,16–20 Nr. 196.
19Ediert in WA 2, 621–654.
20Vgl. Berg, Spuren, 247.
21Luther erwähnt die Delegation in einem Brief an Spalatin vom 22. September 1519 (WA.B 1, 509,26–30 Nr. 198).
22WA.B 1, 511 Nr. 200.
23Im Anschluss an ein Generalkapitel 1517 in Rom, auf dem durch die Bulle Papst Leos X.»Ite et vos« die Trennung des Franziskanerordens in zwei eigenständige Ordenszweige, Observanten und Konventualen, vollzogen worden war und von da an die Reformströmungen innerhalb des Ordens, darunter auch die Martinianer, zu den Observanten zählten, wurde eine Neueinteilung der sächsischen Ordensprovinz unter Berücksichtigung der Martinianer notwendig (vgl. Berg, Spuren, 245–249).
24Als »martinianisch« bzw. Martinianer können die Franziskaner bezeichnet werden, die im Sinne der 1430 von Johannes Kapistran erarbeiteten und von Papst Martin V. bestätigten »Constitutiones Martinianae« lebten, und demnach einen Mittelweg zwischen Konventualen und Observanten verfolgten (vgl. Degler-Spengler, Observanten, 354–371; vgl. Doelle, Observanzbewegung, 1–5).
27Brief der Wittenberger Franziskaner an Kfst. Friedrich III., ediert in Doelle, Observanzbewegung, 262–265, Beilage Nr. 22; siehe auch Doelle, Observanzbewegung, 129–132.
28Zu den unbekannten, in diesem Kapitel diskutierten Verhandlungen siehe Doelle, Observanzbewegung, 130–132.
29Als Drucker identifizierte Josef Benzing anhand der Drucktypen Jan Seversz in Leiden (vgl. WA 59, 608 Anm. 5).
30Hiermit vergleichbar ist der Bericht Bucers von der Heidelberger Disputation an Beatus Rhenanus, der ebenfalls in tendenziöser Weise das Geschehen der Disputation wiedergibt, vgl. Bucer, Briefwechsel 1, 58–72; vgl. auch Kaufmann, Anfang der Reformation, 334–355; zum publizistischen Hintergrund vgl. Kaufmann, Mitte der Reformation.
31Vgl. WA 59, 668f. und Schlageter, Franziskaner, 28.
32Aufgrund des Briefes von Luther an Staupitz können zumindest zwei Disputatoren und ein Respondent benannt werden: Jakob Schwederich Erffurdiensis (zur Biographie WA 59, 634–639), Petrus Fontinus (zur Biographie WA 59, 639–646) und Jakob Fuhrer (zur Biographie WA 59, 646–649). Darüber hinaus konnte Hammer einen weiteren Beteiligten identifizieren, der als Heinrich Never bekannt ist und in einem Brief Luthers an Herzog Heinrich V. von Mecklenburg vom 4. Juli 1536 genannt wird (WA.B 7, 460,13–18 Nr. 3043; zur Biographie Nevers WA 59, 649f.). Weiter kann die Teilnahme Johannes Briesmanns vermutet werden, der in seiner Schrift an die christliche Gemeinde zu Cottbus auf die Rolle Schwederichs bei der Franziskanerdisputation zu sprechen kommt: Briesmann, Unterricht (1523), fol. A2r; zu ihm siehe auch Hammer, Militia Franciscana 2, 65f. Anm. 17–19.
33Die nachfolgende Übersetzung stammt von Schlageter, Franziskaner, 25; Angaben zu den jeweiligen Opponenten sowie Anzeige der Wiederholungen kommen von Seiten des Editors.
34So nicht im Druck, sondern von Schlageter ergänzt, vgl. Schlageter, Franziskaner, 26 Anm. 88.
35Wdh. von These 5 mit Auslassung von »fuisse«; ediert in WA 59, 679,8.
36Wdh. von These 3 mit Auslassung von »Ad quam«; ediert in WA 59, 679,2.
37So nicht im Druck, sondern von Schlageter ergänzt, vgl. Schlageter, Franziskaner, 26 Anm. 87. Als Argument für die Sinnhaftigkeit seiner Ergänzung verweist Schlageter auf die Beschreibungen Dappens über die Aussage des Augustiner-Lektors während des Jüterboger Konflikts: »dixit etiam quod deus exigeret summam perfectionem a quolibet christiano et observantiam totius evangelii.« (TMA 3, 42,3f. Nr.5); vgl. auch Schlageter, Franziskaner, 13 Anm. 32.
38So nicht im Druck, sondern von Schlageter ergänzt, vgl. Schlageter, Franziskaner, 26 Anm. 87.
39So Hammer in WA 59, 670f.
40Den Rang selbst erreichte Melanchthon am besagten Datum. Die Disputation zu seinen Baccalaureatsthesen (MSA 1, 23–25), die die alleinige Autorität der Bibel hochhielten, geschah bereits am 9. 9. 1519 (vgl. Liber Decanorum, 23). Luther bezeichnete die Thesen in einem Brief an Staupitz als »audaculas, sed verissimas« (WA.B 1, 514,33 Nr. 202).
42Karlstadt wiederholt und vertieft nämlich die Argumente von Nikasius Claji und Johannes Dölsch in denen von ihnen traktierten Thesen 3 und 4 (siehe WA 59, 681f).
43Aus syntaktischen Gründen schließt die 3. besser an die 1. an (vgl. WA 59, 668f).
44Eventuell sollten dadurch auch unmittelbaren Einheitsbestrebungen zwischen Martinianern und Observanten Vorschub geleistet werden (vgl. Schlageter, Franziskaner, 21).
45Diese These könnte in Bezug auf den Jüterboger Konflikt formuliert worden sein. Franz Günther soll nach Dappen gepredigt haben, dass »Quarto quod Bohemi essent meliores Christiani quam nos.« (Bensing/Trillitzsch, Dappens Articuli, 132f.). Zur ähnlichen Aussage Luthers während der Leipziger Disputation über die Böhmen siehe auch KGK 134 (Textstelle) und KGK 134 (Textstelle).
46Vgl. TMA 3, 42,3f. Nr.5: »dixit etiam quod deus exigeret summam perfectionem a quolibet christiano et ovservantiam totius evangelii.«; vgl. auch KGK 139 (Textstelle).
47Hammer, Militia Franciscana 1, 66,5f.: »[…]orthodoxae fidei patribus […] nonnullis sciolis ac docticulis«.
49Vgl. WA.B 1, 514,54–515,74; dt. Übersetzung in Schlageter, Franziskaner, 22; siehe auch WA 59, 696,33f.
50Ausführliche Darstellung der Argumentation mit deutschen Übersetzungen bietet Schlageter, Franziskaner, 30–46; vgl. auch Kruse, Universitätstheologie, 232–236.
51U. a. WA 59, 685,5–9; 687,26f. (Luther); WA 59, 689,24–33; 690,28 (Karlstadt); WA 59, 693,9–11; 693,31–694,7 (Melanchthon).
52WA 59, 693,31: »Quomodo deprehendantur errores, non iudice scriptura?«
53U. a. WA 59, 685,5–9; 686,29–36; 687,26f. (Luther), WA 689,24–33; 690,28 (Karlstadt); WA 693,9–11; 693,31–694,7 (Melanchthon).
54Vgl. WA 59, 682f., bes. 682,25–30; 682,37–683,3.
55Kritik an franziskanischer Theologie findet sich bei Karlstadt bereits im Wagen (KGK 120) sowie in der Auslegung (KGK 124).
66Vgl. WA 59, 681f., bes. 682,3f.16–18.
71Vgl. WA 59, 682,4–7.
73Lediglich Karlstadt verwendet hier den Begriff der Franciscani (vgl. KGK 139 (Textstelle)), wohingegen der Respondent selbst die Form »fratres Francisci« wählt (vgl. KGK 139 (Textstelle)).
74KGK 139 (Textstelle); so auch Nikasius Claji, vgl. WA 59, 682,5.
77Vgl. Ablass (KGK III, Nr. 161).
78Vgl. Wasser (KGK III, Nr. 162).
79Vgl. Antwort Wasser (KGK IV).

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