Nr. 22
Andreas Karlstadt an Kurfürst Friedrich III. von Sachsen
Rom, 1515, 13. November

Einleitung
Bearbeitet von Martin Keßler

1. Überlieferung

Handschrift:

ThHStA Weimar, EGA, O 359, fol. 11r-v

Autograph

Edition:

Literatur:

2. Inhalt und Entstehung

Das Schreiben an den Kurfürsten datiert auf den 13. November 1515 und wurde von Karlstadt in Rom aufgesetzt (»geben zu Rom auff xiii tag Novembris im xv jar«). Am 13. August fertigte Karlstadt in Orlamünde eine Urkunde aus.1 Zwischen Wittenberg und Rom war eine Wegstrecke von etwa 1.600 km zu bewältigen; bei einer durchschnittlichen Tageswanderleistung von 30 bis 40 km, wurden dafür »(ohne Ruhetage) mindestens 40 bis 50 […], realistischerweise wohl insgesamt […] zwei Monate« benötigt2.

Der Eingangspassus macht wahrscheinlich, dass es sich um Karlstadts erste Kontaktaufnahme zu dem Kurfürsten nach Ankunft in Rom handelt. Für den Romaufenthalt erklärt Karlstadt offen und uneingeschränkt seine Absicht zu einem Studium, von der eine fortgesetzte Tätigkeit in kurfürstlichen Diensten profitieren würde. Im Sinne einer persönlichen und amtlichen Förderung (»also gefurdert«) erbittet er die Gewährung seines regulären Gehalts (»die fruchten meynes archidiaconats so mir von recht gebueren/ und teglich presencz«) auch während der Abwesenheit. Hinsichtlich der Präsenz erhebt das Schreiben keinen rechtlichen Anspruch. Dieser beschränkt sich in der beiläufigen Formulierung alleine auf »die fruchten meynes archidiaconats so mir von recht gebueren« und die gnädige Zubilligung ihm zustehender Präsenzgelder (»und teglich presencz auß gnaden«) auch während seiner Abwesenheit.

Indem das Schreiben keine eigenen Geschäfte, sondern Tätigkeiten im Interesse der Kurfürsten in den Vordergrund rückte, dürfte es Anschlussmöglichkeiten an die rechtliche Verfassung des Allerheiligenstifts eröffnet haben. In einer Reihe noch nicht statuierter Anregungen (»bedenckenn«) aus dem Kapitel findet sich 1508 der Vorschlag, Absenzen »von wegen seyner f[urstlich] g[naden]« im Unterschied zu solchen in »eygen ader andern gescheften«3 ohne Verlust der Presenzien zu gewähren.4 Eine zweite Möglichkeit eines rechtlichen Anspruchs auf die regulären Einkünfte hätte sich für Karlstadt aus dem Studium an der Sapienza ergeben können. Für deren Studenten, die von einer kirchlichen »Residenzpflicht befreit« waren, galt eine auch für Bologna kirchenrechtlich fixierte Praxis, dass »ihnen ihre Einkünfte in absentia zustanden«.5

Ein Nachtrag deutet an, dass sich Karlstadt der zu bestellenden amtlichen Vakanz wohl bewusst war. Er versichert, sich nach einer Antwort des Kurfürsten um eine angemessene Vertretung zu kümmern.6 Die Modalitäten, unter denen Karlstadt seine Romreise antreten durfte, waren von Seiten des Kapitels eindeutig fixiert worden (s. dazu die Einleitung zu KGK 020). Die Angehörigen des Kapitels waren sich über mögliche Sonderabsprachen zwischen Karlstadt und dem Kurfürsten im Unklaren. Zudem war ihnen der exakte Termin von Karlstadts Abreise aus Kursachsen unbekannt. Der schriftliche Austausch zwischen Kapitel und Kurfürst datiert auf Mitte Juni; der spätere Bericht des Kapitels gibt an, dass Karlstadt nach der Anweisung durch das Kapitel noch »viel wochen ym lande gebliben« sei.7 Karlstadts Gesuch um die kurfürstliche Gunst einer fortwährenden Gehaltszahlung datiert fünf Monate nach den Absprachen zwischen dem Kapitel und ihm. Denkbar ist, dass eine anfängliche Gehaltszahlung stattfand, das Kapitel sich aber nach Ablauf von mehr als vier Monaten legitimiert sah, die Fortzahlung einzustellen. Ausweislich der Orlamünder Urkunde von Mitte August8 befand sich Karlstadt Mitte November noch innerhalb der entsprechenden Frist.


1S. dazu den Hinweis von Bubenheimer, Consonantia, 25 mit Anm. 66, auf das in dieser Ausgabe edierte Dokument KGK 021.
2Vgl. dazu die Angaben und Hinweise in Schneider, Reise, 114f.
3Beide Zitate folgen der Transkription von Barge, Karlstadt 2, 529DigitalisatLinksymbol.
4Auf den Zusammenhang hat erstmals verwiesen Bubenheimer, Consonantia, 27f. mit Anm. 74. Zu der nötigen Differenzierung des rechtlichen Status der von Barge sog. »Ordnung der Stiftskirche« s. die Einleitung in KGK 060.
5Hierzu s. ausführlich und instruktiv Bubenheimer, Consonantia, 27.
6Für eine knappe Zusammenfassung dieses Nachtrages s. bereits Bubenheimer, Consonantia, 28.
8S. dazu oben KGK 022 (Anmerkung).

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