1. Überlieferung
Handschriften:
Schreiben Karlstadts
Abschrift eines Kanzleischreibers
Begleitschreiben des Rektors an Kurfürst Friedrich
(Beilage 1)
Ausfertigung eines Kanzleischreibers
Antwortschreiben Kurfürst Friedrichs an den Rektor
(Beilage 2)
Kanzleikonzept
Das an Vizerektor, Doktoren und Magister der Universität gerichtete lateinische Schreiben Karlstadts ist nicht das Original, sondern eine Abschrift von der Hand eines Kanzleischreibers des Rektors, im Begleitschreiben des Rektors als »copei« bezeichnet. Einige Schreibversehen lassen sich aus dem Prozess des Abschreibens erklären. Der Kanzlist hat Karlstadts Schreiben gekürzt, indem er Adresse, Datierung sowie Karlstadts Subscriptio weggelassen hat. Wesentlich war für die Zwecke des Rektorats nur Karlstadts Darlegung des Sachverhalts, die in ein Urlaubsgesuch mündet. Auf fol. 2v findet sich der spätere Archivvermerk: »R. O. fol. 127. no. 1.[…]1.2.« (eine Ziffer nicht lesbar). Auf fol. 2r ist in der rechten unteren Ecke eine alte Zählung »5.« doppelt durchgestrichen, daneben »1.« einfach durchgestrichen, darüber aufgestempelt die gegenwärtig gültige Blattzählung »2«.
Die adressen- und siegellose Kopie von Karlstadts Schreiben weist Spuren einer früheren Faltung als Brief auf und erweist sich als Anlage zu dem Anschreiben, mit dem der Rektor der Universität, Pfalzgraf Wolfgang bei Rhein, Karlstadts Urlaubsgesuch am 12. Juni 1515 an den Kurfürsten weiterleitete (s. Beilage 1). Dieses Anschreiben des Rektors ist von demselben Kanzlisten geschrieben, der Karlstadts Urlaubsgesuch zum Zweck der Weiterleitung abgeschrieben hat. Er schrieb den lateinischen Text Karlstadts und den deutschen Text des Rektors mit derselben gotischen Kursive. Auf der Rückseite des Rektorschreibens (fol. 7v) finden sich Adresse und Siegelreste sowie ein Vermerk der kurfürstlichen Kanzlei: »Pfaltzgraf Rector zu wittenberg doctor karlstat Romfarth betreffendt/. 1515.«
Die Antwort des Kurfürsten an den Rektor vom 13. Juni 1515 (s. KGK 020 (Textstelle)) ist in der Form eines Kanzleikonzepts überliefert (fol. 10r), geschrieben in Torgau von der Hand eines unbekannten Schreibers der kurfürstlichen Kanzlei. Der Schreiber hat seinen Entwurf an mehreren Stellen korrigiert bzw. gekürzt.
Edition:
- Müller, Staats-Cabinet, 318–326
Literatur:
- Köhler, Karlstadt 1792, 29–32.
- Barge, Karlstadt 1, 50f.
- Bubenheimer, Consonantia, 11–14.
- Sider, Karlstadt, 11.
2. Inhalt und Entstehung
Karlstadts Gesuch an die Mitglieder des Senats der Universität Wittenberg, ihm Urlaub zur Einlösung eines Wallfahrtsgelübdes zu gewähren, stellt das früheste Zeugnis zu den Vorgängen um Karlstadts Romreise dar. Es fällt auf, dass Karlstadt in seinem Gesuch nicht den Rektor, sondern den Vizerektor anredete. Als Rektor war für das Sommersemester 1515 Pfalzgraf Wolfgang bei Rhein gewählt worden1. Höherrangige Adlige, die in Wittenberg studierten, wurden wiederholt zu Rektoren der Universität gewählt, vermutlich auf Wunsch des Kurfürsten. Diese nahmen das Amt jedoch vorwiegend ehrenhalber an, während die Amtsgeschäfte von einem einschlägig erfahrenen Vizerektor geführt wurden. Wer im Sommersemester 1515 das Amt des Vizerektors ausübte, ist unbekannt. Bevor Karlstadt sein Urlaubsgesuch schriftlich einreichte, hatte er im Senat sein Anliegen mündlich vorgetragen. Vermutlich war diese Senatssitzung vom Vizerektor geleitet worden, weshalb Karlstadt die vom Senat erbetene schriftliche Darstellung, die er noch während der Senatssitzung vorlegte, an den Vizerektor sowie die Magister und Doktoren im Senat richtete. Die Weiterleitung von Karlstadts Gesuch an den Kurfürsten erfolgte dann allerdings im Namen des Rektors. Bezeichnend für diesen Geschäftsablauf ist, dass Pfalzgraf Wolfgang das Rektorschreiben gar nicht persönlich unterzeichnete.
Karlstadt schildert in seinem Schreiben anschaulich, wie er am 24. April 15112, am Vorabend des Markustags, auf dem Weg in seine Heimatstadt3 kurz vor der Primiz von berittenen und mit Lanzen bewaffneten Wegelagerern überfallen, vom Pferd auf den Boden gestoßen und lebensgefährlich verletzt wurde. Spuren der damaligen Wunden seien heute noch erkennbar. Gefesselt sei er an einen benachbarten Berg geführt worden, wo ihm angedroht wurde, ihn an einen Baum gebunden zu töten. In Todesangst gelobte er für den Fall seiner Genesung ein Messopfer für die Apostel Petrus und Paulus in Rom. Zum Zweck der Erfüllung dieses Gelübdes erbittet Karlstadt die Bewilligung von Urlaub.
Die näheren Umstände des Gesuches erhellen vier weitere Dokumente. Der erste Text ist das Begleitschreiben, mit dem der Rektor der Universität, Pfalzgraf Wolfgang bei Rhein, eine Abschrift von Karlstadts Gesuch an den Kurfürsten übersandte (KGK 020 (Textstelle)). Der Brief datiert auf Dienstag, den 12. Juni 1515, und schildert, dass Karlstadt zunächst um eine mündliche Vorsprache im Senat gebeten habe, die ihm am Samstag, 10. Juni, gewährt worden sei. Nachdem Karlstadt sein Anliegen vorgetragen hatte, wurde er von den Senatoren ersucht, seinen Antrag schriftlich einzureichen, was Karlstadt noch während der Senatssitzung ausführte. Daraus ergibt sich die Datierung von Karlstadts Gesuch auf den 10. Juni 1515.
Der Brief des Rektors hält als Überlegungen der Universitätsvertreter während der anschließenden Diskussion fest: Das schriftliche Gesuch solle an den Kurfürsten mit der Bitte um Entscheidung weitergeleitet werden. Der für die Wallfahrt zu bewilligende Zeitraum solle sich auf maximal »vier monden von seynem auszcoge alhye«4 beschränken.5 Eine Überschreitung dieses Zeitraums habe zu einer Neubesetzung der betreffenden Stelle zu führen. Ein auswärtiges Studium sollte Karlstadt nicht gestattet werden, wobei ein Studium des weltlichen Rechts dem Priester Karlstadt durch das kanonische Recht verboten sei. Schließlich möge Karlstadt vereidigt werden, mit der Reise nichts »zu nachteil«6 der Universität und des Stifts zu betreiben.
Der Kurfürst antwortete mit dem zweiten für die berührten Vorgänge einschlägigen Dokument bereits am Folgetag. Das Kanzleikonzept des Schreibens an Pfalzgraf Wolfgang bei Rhein (KGK 020 (Textstelle)) betont allgemein den Wunsch einer Präsenz der kirchlichen und akademischen Amtsträger. Den aus der Universität vorgetragenen Überlegungen schließt er sich an. Faktisch überließ der Kurfürst damit die Entscheidung dem Universitätssenat nach den von diesem formulierten Richtlinien.
Das in chronologischer Folge dritte Dokument, das auf diese Vorgänge der Antragsstellung und Bewilligung eingeht, ist ein Bericht aus dem Kapitel, der vor dem 16. Januar 1516 zu datieren ist (KGK 024 (Textstelle)). Er schildert Karlstadts Mietzinsstreitigkeitenmit dem Wittenberger Schosser, der zu einem für Karlstadt bindenden Urteil geführt habe, dem Karlstadt den Gehorsam verweigert habe. Die Veranlassung zur Romreise rückt damit in den Deutungshorizont einer vorsätzlichen Ausflucht und Verschleierung der eigentlichen Interessen Karlstadts. Der Bericht hält fest, dass der Kurfürst aufgrund der institutionellen Implikationen mit dem Vorschlag angeschrieben worden sei, Karlstadt »vier monde« unter der Auflage zu gewähren, »nichts nachteiliges« gegen Universität und Stift einschließlich ihres Personals zu bewegen.7 In seiner Antwort an die Universität habe der Kurfürst diesem Vorgehen zugestimmt, weshalb Karlstadt dies als Beschluss kommuniziert worden sei. Dieser habe sich jedoch nicht gefügt und Vertretungsmodalitäten forcieren wollen, die nicht den Gepflogenheiten der »ordnung der kirchen und Bebstlichen Bullen« entsprochen hätten.8 Laut Gerüchten sei Karlstadt sodann persönlich am kurfürstlichen Hof vorstellig geworden und habe einen längeren Urlaub zugesagt bekommen.9 Das Kapitel habe dazu auf Grund der Annahme geschwiegen, dass dies zutreffe. Das genaue Abreisedatum Karlstadts blieb dem Kapitel unbekannt. Es geht davon aus, dass Karlstadt sich zunächst aus Wittenberg entfernt habe, aber »im lande gebliben« sei, bevor er nach Rom aufbrach.10
Das vierte in diesen Zusammenhang einzubeziehende Dokument ist das erste Schreiben des Kurfürsten an Karlstadt während dessen Aufenthalt in Rom (KGK 024). Das kurfürstliche Schreiben beschränkt sich am 16. Januar 1516 in einem Referat der Ereignisse auf eine anfängliche Anfrage Karlstadts beim Kurfürsten, der seinerseits angewiesen habe, das Gesuch »an dy universitet unnd das Capittel gegen wittenbergk« zu richten.11 Ungeachtet der Frage, ob Karlstadt eine eigene Anfrage an den Kurfürsten vor dem Gesuch im Senat formuliert haben könnte, ist eindeutig, dass es zu keiner weiteren Absprache zwischen Karlstadt und dem Kurfürsten kam. Das kurfürstliche Reskript bietet keinen Hinweis auf eine mündliche Vorsprache Karlstadts in Torgau. Hinter den betreffenden Ausführungen des Kapitels stehen somit Vermutungen, die auch nur als solche von dem Kapitel vorgetragen worden waren.