Nr. 259
Andreas Karlstadt an Kurfürst Friedrich III. von Sachsen
Borna, 1524, 8. Juni

Text
Bearbeitet von Stefanie Fraedrich-Nowag
Buchsymbol fehlt Durchleuchtigister hochgeborner fůrst, genedigister herr. E'uer' C'hur'f'urstlich' g'nad'en seis mein

unnderteunige dinst, in allergehorsam zůvoͤr, genedigister herr. Aus E'uer' C'hur'f'urstlich' g'naden'
Anntwurt. verstehe Ich. daz mich. E'uer' C'hur'f'urstlich' g'nad'en aůf der Pfarr zů orlamůnnde,
nit well haben.1 So waiß Ich aůch nicht. E'uer' C'hur'f'urstlich' g'naden' wilferiger zůdienen,
denn daz Ich E'uer' C'hur'f'urstlich' g'nad'en zuůnderteůnigem dinst, weich. und abtred.2 daz aber
mich E'uer' C'hur'f'urstlich' g'naden' nach vermoͤg der Statůten aůfs archidiaconat fordern,3
in demselben kan Ich E'uer' C'hur'f'urstlich' g'nad'en nit wilfaren, noch yemannds irgent
einen gehorsam leisten. weil Ich des in meinem gewissen treflich
beswert. und ein Neu ergernuss des glaubens fůrstellen4 wůrd, denen,
so nit wissen, waz schades und verderbnůss aůs der Mess, und gotz-
dinst. kůmbt. den Ihenen aber so wol verstehn wie got důrch obvermelte,
greuelen ungeacht, und geloͤseet, geb Ich ursachen von gots namen, vasst schimpflich, zůreden.5 aůch bin Ich neulich versuchet,6 wie es
gegen got, umb die pensionen steet, derwegen Ich mich abwesendes,
kein pension aůfheben wil.7 darzů eůngstiget8 mich Cristus leer, der sagt.
Es wer deme, der den minsten gleůbigen ergeret gůet, daz Er in tieffem
Maͤr wůrd erseůfft.9 demnach E'uer' C'hur'f'urstlich' g'naden' ůbergeb und Resignier Ich.
mein Archidiaconat, mit aller gerechtigkhait,10 als Ich angenomen,11
und wils ůbergeben. und Resigniert haben, in krafft. und macht diser
meiner hanndschrifft. E'uer' C'hur'f'urstlich' g'naden' diemuetigclich in fleis dankende,
daz mich E'uer' C'hur'f'urstlich' g'naden' genedigclichen versehen, mit unnderteniger erbietung
E'uer' C'hur'f'urstlich' g'naden' wellen mein ůbergebůng. und Resignation Cristlich. und
genedigclich annemen, und mir mit nichtig12 zů arg, oder ungnads
stellen, daz Ich. E'uer' C'hur'f'urstlich' g'nad'en so frey, und im schein ettwas unndertenigclichen
geschriben, denn got waiß, daz Ichs nicht formlicher. und lieblich
furtragen kan, wer aůch umb Cristij willen, got hab lob, daz
Buchsymbol fehlt Archidiaconat nicht allein zůverlassen, sůnder zůleiden 〈etc.〉 der geweni-
keit sey in ewigkait Amen/ Ich hoff aůch, E'uer' C'hur'f'urstlich' g'nad'en werden
mir sovil furstlicher gerechtigkheit lassn erzeigen, daz mir nach
der Zeit des Jars mein verdienter lon und pesserung werd vergolten.
13 Bittaůch. E'uer' C'hur'ḟ'urstlich' g'nad'en schrifftlich Anntwůrt, daz E'uer' C'hur'f'urstlich' g'naden'. mein Resig-
nation in gnaden angenomen, und mir ergetzung14 wie yetzt gemelt,vor meinem abtretten widerfar. Daz wil Ich umb. E'uer' c'hur'f'urstlich' g'naden' mit
aller underteůnigkeit gern verdienen. wo dise forderung nicht wider gota
wolt Ich vil lieber meinen grossen schaden erlitten haben, das
mich ungehorsamlich in solchem fall halte/ Der lebenntig got spar15
E'uer' C'hur'f'urstlich' g'naden' lanng Zeit gesundt. Datum zu Born16 mitwuchen,
nach Bonifaci Anno xxiiii.17

E'uer' C'hur'f'urstlich' g'naden' underteniger diener

Anndres Carolstatt

wassers halben bin ich wider
zurugkh gezogen
18/

An Hertzog Fridrichen Hertzogen zu Sachssen, und Curfursten etc.


afolgt gestrichen ver

1Friedrich III. hatte in seiner Antwort Karlstadts Gesuch abschlägig beschieden und ihn aufgefordert, gemäß der Statuten des Allerheiligenstifts auf sein Archidiakonat zurückzukehren; vgl. KGK 258 (Textstelle).
2Karlstadt bezieht sich hier höchstwahrscheinlich auf das Amt des Archidiakons des Wittenberger Allerheiligenstifts, dem die Pfarrei in Orlamünde inkorporiert war. Indem er die Pfarrstelle als Archidiakon selbst ausführte, hatte Karlstadt ein juristisches Novum geschaffen. Als eigentlicher Entscheidungsträger bei der Besetzung der Pfarrstelle hatte Friedrich III. das Recht, Karlstadt nach Wittenberg zurückzufordern. Die einzige Möglichkeit, in Orlamünde bleiben zu können, bestand also in der Aufgabe des Archidiakonats und damit auch der Pfarrstelle, womit er sich aus dem direkten Einfluss Friedrichs III. löste. Dass Karlstadt vorhatte, in Orlamünde zu bleiben, erscheint vor dem Hintergrund, dass er hier über eine treue Anhängerschaft verfügte und zu diesem Zeitpunkt bereits ein Haus in Naschhausen besaß, durchaus wahrscheinlich; vgl. KGK VI, Nr. 242, S. 161, Anm. 16. Möglicherweise plante er, seinen Lebensunterhalt als Bauer zu verdienen, wie er bereits im Zusammenhang mit seiner Übersiedlung nach Orlamünde gegenüber Herzog Johann angedeutet hatte; vgl. KGK VI, Nr. 242 S. 161 Z. 8–12.
4darstellen. Vgl. DWb 26, 1679 s.v. vorstellen Nr. 12.
5Die altkirchliche Messpraxis beruhend auf Stiftungswesen, Bilder- bzw. Heiligenverehrung und Opferpraxis stellte für Karlstadt ein Ärgernis dar, dass es abzuschaffen galt, da die Kirche sonst nichts weiter als ein Götzendienst sei. Eine Wiederaufnahme seiner gottesdienstlichen Pflichten als Archidiakon am Allerheiligenstift hätte eine neuerliche Verstrickung in die altkirchliche Messpraxis bedeutet, die den Gläubigen zu einem Ärgernis gereichen und – aus Karlstadts Sicht berechtigte – Kritik nach sich ziehen würde. Entsprechende Kritik auswärtiger Anhänger der Reformation hatte Karlstadt nach eigener Aussage bereits ein Jahr zuvor bewogen, seine Position in Wittenberg aufzugeben und nach Orlamünde überzusiedeln; vgl. KGK VI, Nr. 242 S. 160 Z. 8–13. Zur Kritik Karlstadts am altkirchlichen Messwesen insgesamt siehe KGK IV, Nr. 195 und KGK VI, Nr. 199.
6im negativen Sinne zu etwas verleiten, anfechten. Vgl. DWb 25, 1831f.
7Wahrscheinlich spielt Karlstadt hier darauf an, dass er in seinen Verhandlungen mit der Universität im April 1524 über eine Rückkehr nach Wittenberg aus finanziellen Erwägungen bereit gewesen war, die Pensionszahlungen aus Orlamünde wieder in absentia einzunehmen; vgl. KGK 256 (Textstelle).
8ängstigt.
10Befugnis, Recht. Vgl. DWb 5, 3611 s.v. Gerechtigkeit Nr. 12a.
11Karlstadt war seit dem 1. Dezember 1510 Archidiakon des Allerheiligenstifts; vgl. KGK I.1, S. xxvi.
12mitnichten.
13Zu Karlstadts Forderungen siehe KGK 259 (Anmerkung).
14Entschädigung, Ausgleich. Vgl. DWb 8, 1772 s.v. Ergötzung Nr. 1b.
15gesund erhalten. Vgl. DWb 16, 1921 s.v. sparen, Nr. 1.
178. Juni 1524.
18Karlstadt befand sich zum Zeitpunkt seines Schreibens wohl auf dem Weg nach Wittenberg, um von seinem Archidiakonat zu resignieren, wurde aber durch ein Hochwasser an der Weiterreise gehindert.

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