Nr. 252
Von dem Sabbat und gebotenen Feiertagen
1524, [Januar]

Einleitung
Bearbeitet von Harald Bollbuck

1. Überlieferung

Frühdrucke:

[A:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
Von dem Sabbat vnd ∥ gebotten feyer⸗∣tagen. ∥ Andꝛes Carolſtat. ∥ M. D. XXiiij. ∥ Jhen. ∥ ❧ ∥ [Am Ende:] 1524 ∥
Jena: [Michel Buchfürer], 1524.
4°, 16 Bl., A4–D4.
Editionsvorlage:
HAB Wolfenbüttel, H: Yv 2177.8 Helmst.
Weitere Exemplare: SB-PK Berlin, Cu 1353 R (durchgehend mit Rötelung von Anfangs- und Großbuchstaben sowie nachgetragenen Paragraphenzeichen und Titelunterstreichungen). — BSB München, 4\Circ{} Mor. 95. — WLB Stuttgart, Theol.qt. 897. — HAB Wolfenbüttel, H: Yv 2176.8 Helmst. — UB Würzburg, Th.dp.q. 939.
Bibliographische Nachweise:

Titelblatt ohne Titeleinfassung und Schmuck.

[B:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
Uon dem Sabbat ∥ vnnd gebotten ∥ Feyertagen ∥ Andꝛes Carolſtat ∥ M.D.xxiiii. ∥ [TE] ∥ [Am Ende:] 1524. ∥
[Augsburg]: [Philipp Ulhart d.Ä.], 1524.
4°, 16 Bl., A4–D4, D4v leer.
Editionsvorlage:
BSB München, 4° Mor. 94.
Weitere Exemplare: SB-PK Berlin, Cu 1352 R (aus einem Sammelband; hsl. Kolumentitel und Gesamtblattzählung \tlqq{}cclxxx\trqq{} bis \tlqq{}ccxciiii\trqq{}; hsl. Marginalien fol.~A2\textsp{r\spe}–A3\textsp{r\spe}, C4\textsp{v\spe}, D2\textsp{v\spe} und D3\textsp{r\spe}) — BSB München, 4 Exeg. 90 Beibd. 1. — HAB Wolfenbüttel, A: 135.6 Theol. (15). — HAB Wolfenbüttel, A: 513.9 Theol. (15). — HAB Wolfenbüttel, A: 522.8 Theol. (11).
Bibliographische Nachweise:

Das Titelblatt mit der Titeleinfassung ist klar gegliedert.1 An den Seiten befinden sich zwei aufeinandergesetzte Säulen mit unterschiedlichen, aber symmetrisch gleichen Schäften, herabhängenden Schnüren und Zierschmuck. Zwischen dem hochquadratischen Säulenpostament, das im unteren Feld Akanthus- und darüber Zahnschmuck trägt, befinden sich rechts und links eines mit Wappen versehenen Quadrates zwei hohe Akanthusblüten. Das Wappen ist geteilt in fünf Balken (unten) und eine Burganlage mit Mitteltor und vier Zinnen darüber. Es handelt sich wahrscheinlich um das stilisierte Wappen von Altenburg.2 Oberhalb des Titels ruht auf Säulen ein blattgeschmückter Halbbogen, der eine Akanthuspflanze umrahmt; solche sind ebenso links und rechts des Bogens zu sehen. Auf dem Halbbogen finden sich Akanthusblüten in Draufsicht. – Die Orthographie des Textes von Variante B unterscheidet sich signifikant von A (»ain« statt »ein«; »myßbrauch« statt »mißbrauch«, »woͤlcher« statt »welcher«, »son« statt »sohn«; »růwen« statt »ruhen«; »dürffen« statt »doͤrffen«; »jn« statt »yhn«; »auffhoͤren« statt »uffhoͤren«; »wayst« statt »weis« [3. Person Sl. wissen]; »-hait« statt »-heit«/»-heyt«). Einige Lesarten von B erscheinen sinnentstellt.3

[C:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
Uō dē Sab⸗∣bat vnnd ge⸗∣botten feyr⸗∥tagen. ∥ Andꝛes Carolſtat. ∥ M. D. XXiiiȷ. ∥ Jm Meyen. ∥ [TE] ∥ [Am Ende:] Getruckt ʒů Straßburg durch Joannē Schwan. ∥ Jm ȷar M. D. xxiiiȷ. ∥
Straßburg: Johannes Schwan, 1524.
4°, 16 Bl., a4–d4; TE.
Editionsvorlage:
SB-PK Berlin, Cu 1354 R.
Weitere Exemplare: SLUB Dresden, Hist.eccl.E.244,4. — UB München, 4 Theol.5463(2:13.
Bibliographische Nachweise:

Das Titelblatt gibt an, dass dieser Straßburger Nachdruck im Mai 1524 erfolgte.4 Es ist von einer übervollen Titeleinfassung umrahmt. Unterhalb des Titels befindet sich ein leeres Wappen, hinter dem ein Baumstamm wächst, aus dem – statt einer Baumkrone – die Rahmung des Titelfelds entsprießt. Zu beiden Seiten des Wappens sitzen jeweils unbekleidete Figuren, augenscheinlich Adam und Eva: links eine weibliche mit entblößter Brust, rechts eine männliche, ein wilder Mann, dessen Geschlecht von einer Blüte verdeckt ist. Der Schmuck seitlich des Titelfelds besteht aus Säulentrommeln und Pflanzen sowie weiteren Figuren (Putten und Narren), über dem Titelfeld findet sich eine üppige Vegetation mit weiteren Putten, monsterartigen Fabelwesen sowie rechts oben einer unbekleideten Figur mit Federschmuck sowie Pfeil und Bogen. – Der Text ist ohne Marginalien gesetzt.

[D:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
¶ Uon dem Sabbat. ∥ vn̄ gebotten feir⸗∣tagen. ∥ Andres .Carolſtat ∥ M. D. XXIIII. ∥ Jhen. ∥ † ∥ [TE] ∥ [Am Ende:] 1.524. ∥
[Konstanz]: [Johann Schäffler], 1524.
4°, 16 Bl., A4–D4; TE.
Editionsvorlage:
ULB Halle, Ii 3139(8).
Weitere Exemplare: SB-PK Berlin, Cu 1355 R. — FB Gotha, Theol.4 195–196(23)R.
Bibliographische Nachweise:

Ornamentale Titeleinfassung mit Figuren im Blütengerank (oben eine unbekleidete männliche Figur, die von einem Vogel angegriffen wird, vermutlich Prometheus; links ein Soldat mit aufgerichteter Lanze; weitere Vögel und menschliche Figuren). Im Kolophon Holzschnitt mit kreuztragendem Christus, der einerseits von Simon von Kyrene unterstützt, andererseits von einem Soldaten geschlagen wird.5

Editionen:

Literatur:

2. Entstehung und Inhalt

Der Traktat gehört zu den fünf in Jena bei Michael Buchfürer gedruckten Schriften Karlstadts, die im Dezember 1523 und Januar 1524 erschienen.6 Schon Ende Januar war die Tätigkeit Buchfürers für Karlstadt nach Luthers Intervention bei dem kursächsischen Kanzler Gregor Brück beendet.7 Anders als bei den anderen Jenaer Drucken nennt sich Buchfürer in der Schrift Von dem Sabbat weder auf dem Titelblatt noch im Kolophon namentlich. Sollte dies absichtlich geschehen sein, läßt sich vermuten, dass der Drucker von Luthers Bemühungen gegen die Veröffentlichung von Karlstadtschriften informiert worden war oder aber Gerüchte von dessen Agitation zu ihm gelangt waren. Dann könnte der Traktat Von dem Sabbat tatsächlich der letzte in Jena produzierte Druck Karlstadts gewesen sein.8

Inhaltlich gehört die Schrift zum mystischen Werk Karlstadts. Ihr kommt ein hohes Maß an Originalität zu, da sich die hier verhandelte Deutung des geistlichen Sabbats als wesentlicher Bestandteil der Heiligung des Menschen vor Gott deutlich von dem unterscheidet, was Karlstadt bislang dazu geschrieben hatte. Mit der Frage nach der Bedeutung der kirchlichen Feiertage und eines gebotenen (siebten) Ruhetages für die Dienerschaft behandelt die Schrift eine weitere relevante Thematik. Ihre beachtliche Wirkung unterstreichen die drei kurz aufeinanderfolgenden Nachdrucke, von denen der Straßburger Druck des Johannes Schwan laut Titelblatt auf Mai 1524 datiert ist.9

Die Schrift ist in dreizehn Kapitel gegliedert und setzt mit einem Inhaltsverzeichnis ein, das die Kapitelüberschriften wiedergibt.10 (1.) Der erste Abschnitt erläutert kurz die Bedeutung des hebräischen Wortes Sabbat als Ruhetag zur Ehre der Schöpfung Gottes. Daher seien an diesem Tag keine Geschöpfe wie Engel oder Heilige zu ehren, wie es an den vielen Heiligenfesten der römischen Kirche üblich sei. (2.) Das folgende Kapitel, unterteilt in zwei Abschnitte, beschäftigt sich mit den Gründen des Sabbatgebots. Zum einen sei es, wie alle Gebote, den Menschen auferlegt, damit sie ihre Gottesebenbildlichkeit erkennten und sich um Gleichwerdung (im Sinne einer Heiligung) bemühten. Ebenso sei der Inhalt wie bei allen Geboten geistlich zu erfassen und nicht allein auf den Buchstaben zu achten. Die zweite, leibliche Dimension des Sabbatgebotes habe ihre Ursache in der Nächstenliebe, die aus der Gottesliebe fließe.11 Das Gebot des siebten Tages als eines Ruhetages lege den Herren im Sinne der Nächstenliebe auf, ihrer Dienerschaft und dem Gesinde diese Ruhe zu gönnen, denn der Mensch samt »arbeytsamen thyren« müsse wieder zu Kräften kommen. Diese leibliche Begründung der Körperruhe wird geistlich umgewandelt, indem sie für die Arbeit an der Heiligung der Seele genutzt werden solle. Die menschlichen äußeren »geberden« (wie Einhaltung des Sabbats, Spenden des Opfers, Taufe etc.) seien nur Zeichen, die bedeuten, dass es Gott sei, der heiligt, und nicht des Menschen Werk.12

(3.) Die Verordnung des Sabbats sei ein Gebot für die gesamte Gemeinde Gottes und alle Bürger der göttlichen Stadt. Zu ihnen gehören Menschen und Engel, die sich auch an die Gebote halten müssten, zeige doch der Fall Lucifers samt Engelschar ihre Gefährdung.13 Gott richte gemäß seinem Wort, dann sind die Gläubigen in der Gnade Gottes und das Gesetz wird zum äußerlichen Zeichen.

(4.) Das vierte Kapitel befasst sich eingangs mit den inneren, geistlichen Voraussetzungen der Sabbatruhe. Es sei eine Ruhe des Herzens und innerer Frieden anzustreben, indem der eigene Willen dem Gehorsam Gottes untergeordnet wird. Schließlich habe der Gläubige um die Heiligkeit Gottes zu bitten und gleichsam kontemplativ zu warten, denn die Heiligkeit sei allein durch Christus ohne Verdienst und Werk zu erreichen. Alle diese Verrichtungen sind nur äußere Zeichen für die innere Heiligung.14 Der (geistliche) Sabbat dient als Vorbereitung zum Ersten Gebot und zur geistlichen Beschneidung.15 Müßigkeit und (mystische) Langeweile seien das Messer, das die Verstopfung des Herzens löst. Indem der Sabbat den eigenen Willen breche und die Vereinigung mit Christus die »volkommenheit des Sabbats« sei, knüpft Karlstadt unmittelbar an seine Gelassenheitstheologie an.16 Der »heilige Tag« bedeute, dass der erleuchtete Geist über den irdischen Dingen schwebt. In diesem Sinne wird der Mensch selbst zum Sabbat. Im erneuten Schwenk auf den sozialen Alltag fordert Karlstadt, das biblische, göttliche Recht aktualisierend, dass am Sabbat die Untertanen nicht zu Fron- und Fuhrdiensten herangezogen werden dürften. Ein Bruch dieses Gesetzes durch die Obrigkeit sei eine Nötigung der Untertanen und mithin Tyrannei. Den Untertanen wird explizit ein Widerspruchsrecht zugesprochen.17 (5.) Doch sei ein solcher Missbrauch unter Christen allgemein üblich, und der Autor schließt sich in diese Klage mit ein.18 Nichts als Verachtung gegen Gottes Gebot seien die Missbräuche am Sabbat, von denen Karlstadt eine Reihe aufführt, wie das Schuldeneintreiben am Feiertag und Ausritte zu Freunden, habe das Pferd doch sechs Tage gepflügt und daher ebenfalls ein Recht auf Ruhe. Der Tod von Tieren in dessen Folge sei nicht Hexerei, sondern dem Bruch der Sabbatruhe geschuldet. Eine andere Form des Missbrauches sei es, dass das Gesinde die Feiertagsruhe zum Spielen, öffentlichen Trinken und zur Unkeuschheit nutze; dann sei es besser, diese Leute arbeiten zu lassen.19 Sabbat ist Erinnerung an die Erlösung Israels aus der Knechtschaft (2. Mose 13,17–22), ein Moment der Befreiung von der Arbeit als Werk Gottes. Wer dennoch Diener zur Sabbatarbeit nötige, handele wider Gottes Barmherzigkeit und sei ein Ungläubiger.20 Schon aus praktischen Gründen spricht sich Karlstadt dezidiert gegen die Rechtsgewohnheit aus, den Schuldner am Sonn- und Feiertag anzumahnen (was sogar von der Kanzel aus geschehe),21 könne dieser doch nur am Werktag seine Schulden mit Arbeit begleichen und würde durch die Drohung unnötig unter unbarmherzigen Druck gesetzt, der ihn nicht in die Sabbatruhe führe.22 (6.) Doch könne, entgegen dem bisher über die Notwendigkeit eines leiblichen Ruhetags Gesagten, der Sabbat durchaus gebrochen werden, um Gutes zu tun oder Verderben abzuwenden, denn Gott sei weniger an den äußerlichen Dingen, sondern an der inneren Einstellung des Menschen interessiert. Wer also in Gottes Ruhe stehe, könne die äußerlichen Sabbatvorschriften missachten.

(7.) Das siebte Kapitel ist zentral, indem es den Menschensohn Christus als Herrn des Sabbats ins Zentrum der Überlegungen stellt. Der Sabbat sei für die Menschen gemacht, nicht umgekehrt.23 Gemäß Christus (Mt 12,5) sind inwendige Werke der Liebe und Barmherzigkeit bedeutender als äußerliche Zeremonien zur Einhaltung des Sabbats,24 zu denen auch das Opfer (Eucharistie), Fasten, Gesang und Taufe zählten.25 Notdienste der Dienerschaft zur Versorgung des Viehs und zur Bestellung der Ernte, bevor sie verdirbt, aber auch des Feuermachens und Essenkochens seien sogar von Gott geboten.26 Möglicherweise wollte Karlstadt Anklagen entgegentreten, nach denen seine Schrift ein Aufruf zum Ende der Dienstpflicht des Gesindes sei.27 (8.) Dementsprechend entwirft der folgende Abschnitt eine Dialektik der Sabbathierarchie zwischen äußerem (leiblichem) und innerem (geistlichem) Sabbat in Zuordnung zum Wechselspiel zwischen Herr und Knecht. Der innere Sabbat zum Ruhm Gottes, der Gott und den Geist der Ruhe umfasst, ist Herr des Menschen, der durch seine Unterwerfung »hailigbar« werde, d.h. die seelische Heiligung erreichen könne.28 Der äußerliche Sabbat diene der Genesung des Menschen, stehe aber unter dem inneren und sei nur Zeichen für die innere Muße (als Ruhe in Gott). Der Mensch stehe in der Hierarchie zwischen dem äußeren Sabbat, der ihm dient, und dem inneren, dem er dient.29 (9.) Auf diese Weise wird der Sabbat zur mystisch grundierten, »sehnliche[n] langeweile«, zu einem Begehren nach der Liebe Gottes in der äußeren, irdischen Langeweile, die im Nachdenken über den Zustand auf Erden Verdruss erzeugt und angesichts dessen das Begehren nach Erlösung im göttlichen Jenseits vergrößert. Dem Menschen widerfahre aber Gottes Wirken nur passiv (»in leidender weys«).30

(10.) Das nächste Kapitel widmet sich der Ordnung des Sabbats, der nach sechs Tagen Arbeit anstehe. Nicht verordnet sei, dass es ein Sonntag sein muss; dieser Tag wurde von der römischen Kirche und somit als Menschensatzung zum Feiertag verordnet, wobei Karlstadt erwähnt, dass eine Rückkehr zum Samstag »im zanck«, also in der Diskussion sei. Ein Problem entstehe aber, wenn jedes Haus einen eigenen Sabbat ansetzt. Werde aber jeden Tag das Gotteswort verkündet, habe der Hausvater die Macht, den Sabbat entsprechend der eigenen »Betriebsnotwendigkeit« anzusetzen; in dieser Hinsicht stehe er nicht nur über Papst und Bischöfen, sondern auch über der Gemeinde, doch müsse ein Betrug der Herren an ihrem Gesinde verhindert werden. Den inneren Sabbat hätten die Christen dagegen jeden Tag zu halten.

(11.) Damit geht der Traktat zur Vielfalt des Sabbats und seiner heiligend-salvatorischen Funktion über. Er sei einerseits der Tag der Reinigung und Versöhnung, der inneren Anfechtung und der veräußerlichten Verkündigung im Gottesdienst,31 andererseits ist er in Einbettung in die Mystik der Gelassenheit die völlige Ruhe in Gott, aus der das Vollkommene und Ganze folge. Der irdische Sabbat ist »forcht und arbeit« im Sinne der Sündenvergegenwärtigung und Anfechtung, verbunden mit der Aufforderung schama (Halte den Sabbat ein) nach 5. Mose 5,12. Zugleich spiegelt er als Zeichen den himmlischen Sabbat, in dem der Mensch, eingedenk (zakar nach 2. Mose 20,8) des vorherigen, irdischen Sabbats von Gott geheiligt werde. Der höchste Sabbat, der Sabbat aller Sabbate, bringe das Ende der Furcht. Dann tritt der Mensch das Erbe Jakobs an und geht in die »hoͤcheste Jubeltzeyt« ein.32

(12.) Daraufhin widmet sich Karlstadt der Feiertagsfrage. Da der Sabbat das Zeichen für die Heiligung durch Gott sei, setzten Feiern zu Ehren von Heiligen und Engeln ein falsches Zeichen zur Feier einer Sache, da sie nicht heiligen können.33 Die vielen falschen und außerplanmäßigen Heiligentage der Kirche stellten die Schöpfung über den Schöpfer und zerstörten die göttliche Ordnung des Sabbats, die in der strengen Abfolge von sechs Tagen Arbeit und einem folgenden Ruhetag bestehe. Implizit plädiert Karlstadt somit für Aufhebung aller Feiertage, abgesehen vom siebten Ruhetag. Mit den vielen Heiligenfeiertagen schwinde der Gehorsam gegen Gott, da sie das Volk zu sündhaftem Handeln nutze,34 was wiederum den »Pfaffen« Gelegenheit zur Entgegennahme der Beichte und Erteilung von Absolution gebe.35

(13.) Abschließend arbeitet Karlstadt die bußtheologische Funktion des Sabbats heraus, der die Menschen der Last der Arbeit entledige, die Adam auf Grund der (Ur-)Sünde auferlegt worden sei (1. Mose 3,19).36 Zwar begründet die biblische Aussage, dass der Mensch sein Brot im Schweiße seines Angesichts essen müsse, die Notwendigkeit der täglichen Arbeit, doch indem Gott in väterlicher Liebe den Sabbat geschaffen habe, der nicht nur der körperlichen Stärkung diene, sondern ebenso der Muße und Langeweile zur Vorbereitung der Jubelzeit, wird die Heiligung Gottes als eine gleichsam kontemplative Auszeit aus dem Alltag imaginiert. Ziel sei die Freiheit von Arbeit – ein bedeutsamer Unterschied zur Lutherschen Theologie.37 Die Langeweile des Sabbats sei nicht zur Befriedigung der Wollust zu nutzen, da der Sabbat auch der Tag der Trauer und Anfechtung sei, der zugleich die Vergebung der Sünden als Voraussetzung zur Versöhnung mit Gott umfasst.38

In seiner Schrift postuliert Karlstadt eine Sabbathierarchie, mit der er analog zur Idee der strengen Abtrennung der Zeichen von ihrer Bedeutung einen inneren, geistlichen Sabbat einem äußeren, leiblichen gegenüberstellt. Über beiden ragt der ewige und höchste Sabbat, unter dem die Menschheit das Erbe Jakobs antritt und der mit der Jubelzeit zusammenfällt. Ist der geistliche Sabbat der Heiligung der Seele durch Gott gewidmet, die durch Ruhe, Gelassenheit, Liebe und Barmherzigkeit erreicht wird, dient der leibliche, untergeordnete Sabbat der Arbeitsfreiheit und körperlichen Erholung, die von Langeweile geprägt ist und zum Verdruss an den irdischen Dingen führt, die letztlich der Übergabe des Selbst an Gott zur Vorbereitung der Heiligung dient. Alle äußerlichen kirchlichen Handlungen inklusive Opfer und Taufe sinken zum Zeichen herab, wobei die römischen Heiligenfeiertage falsche Zeichen darstellen, die nicht heiligen können. Der leibliche Sabbat ist mit der Frage der Dienste verbunden – sowohl der allgemeinen Dienstpflicht des Gesindes und der Dienerschaft als auch mit bäuerlichen Fron- und Spanndiensten.39 Der Sabbat ist von all diesen Diensten frei zu halten – bis auf Notdienste.40 Stellt eine Herrschaft dieses Recht in Frage, ergibt sich ein Recht auf Widerspruch gegen diese Form der Nötigung und die gegen die Gottesordnung gerichtete Tyrannei.41 Doch bestehe in der Woche Dienstpflicht. Revolutionäres Potential besitzt Karlstadts Sabbattraktat nicht. Er hat seinen »Sitz im Leben« nicht als Schrift der Auflehnung, scheint aber die gewachsenen sozialen Spannungen um die bäuerlichen Dienstpflichten in Ostthüringen wahrgenommen zu haben.42

Der Traktat ist kaum polemisch gehalten, sondern Ausdruck der pastoralen Sorge Karlstadts für die Orlamünder Gemeinde.43 Er plädiert für ein geistliches Verständnis der Heiligen Schrift und verbindet Lehre und Erleben im mystischen Sinn.44 Die Gebote sind Anleitungen, um die Ebenbildlichkeit und Gottförmigkeit des Menschen zu erkennen und die Heiligung der Seele vorzubereiten.45 Der Rückgriff auf die Mystik ist nicht nur sprachlich nachweisbar, wobei Karlstadt einige mystisch inspirierte eigene Wortbildungen, orientiert an der Volkssprache, entwickelte.46 Die Gelassenheit als Vorstufe der Einheit mit der göttlichen Vollkommenheit wie die kontemplativ-passive Aufnahme des göttlichen Lichts sind von Johannes Tauler und der Theologia Deutsch, die Ausführung im Loslassen des eigenen Sich, der Entwerdung des Seins, von Heinrich Seuse übernommen.47 Möglicherweise augustinisch beeinflusst ist, dass Karlstadt nicht einer individualistischen Mystik des Weltrückzugs des Einzelnen huldigt, sondern auf die civitas Dei der Menschen und Engel Bezug nimmt. Es ist ein Gemeindeprojekt.48 Zugleich lässt Karlstadts Sabbattheologie Raum für eigene, verantwortungsvolle Gewissensentscheidungen.49

Erst jüngst wurde herausgearbeitet, dass Von dem Sabbat sehr stark von Passagen aus Johannes ReuchlinsDe arte cabalistica beeinflusst ist.50 Bei der Beschreibung der unterschiedlichen Sabbatformen verwendet Karlstadt die dort zur Darstellung der Differenz eingesetzten hebräisch-biblischen Begrifflichkeiten schama (halte den Sabbat mit Bezug auf den leiblichen bzw. irdischen Sabbat) und zakar (gedenke des Sabbats mit Bezug auf den geistlichen bzw. himmlischen Sabbat).51Reuchlin prägte ebenso die Vorstellung vom höchsten Sabbat, dem Schabbat Schabbaton, an dem der Mensch von Unreinheit und Sünde befreit und von nichts Unheiligem mehr berührt wird. Letztlich sind Karlstadts Ausführungen, dass der Mensch im höchsten Sabbat das Erbe Jakobs antrete und der himmlische Sabbat seine Wurzeln in die Jubelzeit ausstrecke, nur durch die Kenntnis von Reuchlins Argumentation verständlich.52

Gleichwohl bewegt sich Karlstadts Traktat im Resonanzraum der Sabbattheologie Luthers und Melanchthons. Für Luther war der geistliche Sabbat in seinem Freisein von den Dingen eine Chiffre für die passive Ruhe und empfangende Demut des Gläubigen.53 Zwar sei die Unterscheidung von geistlichem und leiblichem Sabbat seit Christus aufgehoben (Kol 2,16f.), doch bleibe der Sabbat ein Ruhetag zum Besuch des Gottesdienstes und Hören des Wortes.54Karlstadts Auffassung nahe, habe der geistliche Sabbat die Funktion, »das wir allein got in uns wirckenn lassen und wir nichts eygens wircken in allen unsern krefften.«55 Noch 1518, in der Erklärung der zehn Gebote, meint Luther, dass die Erfüllung des Ersten Gebots in Gelassenheit zu erfolgen habe. Die Verleugnung des Selbst und die Stillegung des Eigenen waren als mortifikatorische Momente Korrelate zur Externität des Heils.56Doch entfernte sich Luther um 1520 von der zuvor vertretenen Idee der leeren und wartenden Seele.57 Nun ergab sich aus der Gewissheit der Sündenvergebung die Ruhe und Selbstgelassenheit.58Luthers Anfechtung kommt von außen;59 der Aufruf zur Gelassenheit ist jetzt von dem Karlstadts fundamental zu unterscheiden. Der Sabbat ist nunmehr nichts anderes als das ganze Leben des Christen.60 Während Luther Kreuz, Leid und Anfechtung als »Widerfahrnisse von außen« begreift, verinnerlicht sie Karlstadt.61

Für Melanchthon ist der Sabbat ein Zentralbegriff seines reformatorischen Heiligungsverständnisses, da der Mensch in seinem Horizont das Wirken Gottes erfährt.62 Als Auslegung des Dritten Gebots bedeutet der Sabbat in den Loci communes von 1521 die Ruhe von den eigenen Werken und ist gegen den freien Willen gewendet.63 Noch enger erscheint die Verbindung zu Karlstadts Konzept in den Scholien zu 2. Mose 20. Der geistliche Müßiggang wird zum einzig möglichen Verständnis des Dritten Gebots;64 die Abtötung des Fleisches als Erfüllung des Sabbats mit dem verbum mortificans der zweiten Vaterunserbitte verbunden,65 die ganz ähnlich für Karlstadt die Entsprechung zur Gelassenheit im Sinne eines Zurücklassens des Selbst bedeutete.

Karlstadts Schrift Von dem Sabbat ist zudem in die Diskussion um die Sabbat-Sonntagsfrage einzuordnen. Reuchlin betonte wertfrei, dass für den Juden selbstverständlich der Samstag der Ruhetag sei; welcher Wochentag aber von den Christen als Sabbat gefeiert werden solle, läßt er offen.66Luther verhielt sich in der Frage einerseits pragmatisch,67 postulierte aber andererseits: »Laßt euch von niemant vorpflichten zu yrgend einem feyrtag (dan dieselben sein vortzeiten figur gewesen […].«68 In dem Zusammenhang stellte er letztlich die Forderung auf, möglichst alle anderen Heiligenfeiertage auf den Sonntag zu legen, um Untugenden zu vermeiden.69 Später zeigte er sich offen dafür, einen anderen Wochentag für die Sabbatfeier anzusetzen.70 Im Dezember 1524 erschien eine antilutherische Streitschrift des Johannes Cochlaeus, die er nach eigenen Aussagen bereits 20 Monate zuvor, also im Frühjahr 1523, in Frankfurt am Main geschrieben hatte.71 In den Kapiteln 13 und 14, die sich mit der Sabbatobservanz und der Sonntagsfeier beschäftigen, bindet Cochlaeus die biblisch festgelegte Einhaltung des Feiertags für den Christen an die Korrekturen durch Väter und Kirche, mithin also an die Tradition, die die Schrift im Sinne Christi emendiere. Die Festlegung auf den Sonntag sei Wille der Kirche; Cochlaeus bediente sich für diese Idee bei Thomas von Aquin, allerdings ohne dessen tiefere theologische Fundierung.72 Schließlich gibt es Nachrichten aus Nürnberg vom Februar 1525, dass die – unterdessen verhaftete – Gruppe um Hans Denck in Ablehnung papistischer Gebräuche den Samstag gefeiert habe.73 Ob diese sich aber auf Karlstadt bezogen, ist – trotz des Einflusses seiner Lehre in diesem Kreis – nicht nachweisbar.

Ein explizit auf den Titel bezogener Nachweis einer unmittelbaren Rezeption der in Jena gedruckten Karlstadtschriften durch Luther findet sich nicht. Allerdings spricht er am 14. März 1524 gegenüber Georg Spalatin von »monstra Carlstadii«, die er gelesen hätte, und ergeht sich in längeren Ausführungen gegen judaisierende Tendenzen und die Anwendung des mosaischen Rechts, das doch in der zeitgenössischen Gesellschaft längst durch das römische Zivilrecht abgelöst worden sei.74 Möglicherweise bezieht sich Luther damit auf Karlstadts in Jena gedruckte Schriften Von dem Priestertum und Opfer Christi (KGK VI, Nr. 249) und Von dem Sabbat, denen er die Beschäftigung mit der jüdischen Opfertheologie und dem Sabbat, einem zentralen Thema der Thora, als eine Form des Judaisierens vorwarf.75 Neben den Abendmahlsschriften bildete somit Von dem Sabbat einen Baustein der Motivation für Luthers großangelegten Angriff auf Karlstadts Lehre in seiner Schrift Wider die himmlischen Propheten von Ende Dezember 1524 / Januar 1525. Dort wandte er sich gegen alle vermeintlich neu ersonnenen Arten einer »mortificatio carnis«, wozu er auch die Sabbatheiligung als Konkretion der Gelassenheit zählte, die von der Bibel nicht geboten seien.76 Tatsächlich bezog er sich an einer Stelle in ironischer und karikierender Weise explizit und wörtlich auf Von dem Sabbat.77


1Vgl. Schottenloher, Philipp Ulhart, 12f., dort Einfassung 2.
2Ulhart nutzte im Titelblatt die Wappen, die er auch in seiner in nur einem Einblattfragment überlieferten Kalenderausgabe von 1525 verwendete (UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 793, fol. 73v). Vgl. Schottenloher, Philipp Ulhart, 12f. u. 113f. Nr. 89; dort wird das Wappen des vorliegenden Karlstadtdrucks allerdings als das Lützelburgs ausgewiesen, während dasselbe, auf einem weiteren Titelblatt verwendete Wappen (VD 16 M 5921; Schottenloher, Philipp Ulhart, 124 Nr. 128) richtigerweise Altenburg zugeordnet ist.
3Vgl. KGK 252 (Textstelle)»Schlemmerey halten« statt – richtig – »halben«; KGK 252 (Textstelle)»urteil des glaubens« statt »unglaubens«; KGK 252 (Textstelle)»stainlin« statt »stuͤndlein«; KGK 252 (Textstelle)»dienen« statt »denen«.
4Der Drucker Johannes Schwan (geb. um 1485, 1499 Studium in Köln) war nach Stationen als Minorit in Marburg und Basel im Sommersemester 1522 in Wittenberg immatrikuliert worden (AAV 1, 113), dort 1523 aus dem Mönchsorden ausgetreten und Anfang 1524 nach Straßburg gegangen, wo er durch Heirat der Witwe des Druckers Reinhard Beck (die wiederum die Tochter von Johann Prüss d.Ä. war) dessen Offizin übernahm. Sein vermutlich erster Druck ist auf den 8. März 1524 datiert. Vgl. Reske², BuchdruckerReske, Buchdrucker, 958f.; Kaufmann, Mitte der Reformation, 347–354; s. auch KGK 275 (Textstelle) mit KGK 275 (Anmerkung) u. KGK 275 (Textstelle). Der Karlstadtdruck gehörte also zu den frühen Straßburger Drucken Schwans.
5Johann Schäffler kam im Frühjahr 1505 aus Ulm nach Konstanz und fertigte im selben Jahr seinen ersten Druck. Er druckte für die Stadt Kalender und Aufträge der bfl. Kanzlei, seit 1524 auch reformatorische Schriften; auf Grund der am 24.9.1524 eingeführten Zensur geriet er 1525 in Konflikt mit der Stadt (Haft für Knecht und Magd wegen Druck reformatorischer Schriften in seiner Abwesenheit), letzter nachgewiesener Druck 1527. Vgl. Reske², BuchdruckerReske, Buchdrucker, 530. Moeller, Konstanzer Reformationsdrucker, 732–734 Anm. 25–45 führt vierzehn überlieferte und zwei vermutete Drucke Schäfflers auf, jedoch nicht den Karlstadtdruck und dessen Titeleinfassung. Schäfflers Offizin wird dort als typische Winkeldruckerei charakterisiert, die »altmodisch eingerichtet« gewesen sei und »liederlich gearbeitet« habe, gekennzeichnet durch »klotzige, ungefüge Typen (besonders auffallend die häufigen Ligaturen), unendlich viele Druckfehler, schlechtes Papier […].«
6Neben KGK VI, Nr. 248 u. 249, KGK 250 und KGK 251.
7Vgl. WA.B 3, 232,16–25 Nr. 703. Siehe KGK 250 (Anmerkung).
8Diese Vermutung wurde aufgeworfen von Zorzin, Flugschriftenautor, 100 u. Nr. 60, der daher meint, dass Von dem Sabbat der sechste Druck des fünften Publikationsblocks von Karlstadtschriften und der letzte Druck in Jena gewesen sei.
11Hier eröffnen sich Parallen zur zeitnahen Schrift Von den zwei höchsten Geboten der Liebe (KGK VI, Nr. 247).
13KGK 252 (Textstelle). Ebenfalls im Januar 1524 veröffentlichte Karlstadt die Schrift Ob Gott Ursache sei des teuflischen Falls (KGK 251), die sich mit der Thematik beschäftigt.
19Dies erinnert an Luthers Forderung, alle Feiertage auf Sonntage zu verlegen, um den Raum für Untugenden einzuschränken (WA 6, 243,13–16).
20KGK 252 (Textstelle). Dann wäre es besser, dem Gesinde das Reiten zu erlauben (KGK 252 (Textstelle)).
27KGK 252 (Textstelle). Zu den wachsenden sozialen Spannungen in seinem Wirkkreis, den Ämtern Leuchtenburg und Orlamünde, siehe KGK 252 (Anmerkung).
30Anknüpfung an Theologia Deutsch (Franckforter), 70,104f.; 140,13.
32KGK 252 (Textstelle) und KGK 252 (Textstelle). Zum kabbalistischen Einfluss dieser Konzeption mittels Reuchlinlektüre s.u.
33Karlstadt vergleicht dieses falsche Zeichen mit einem Schild für eine Schenke, in der es keinen Wein gibt (KGK 252 (Textstelle)). Die Heiligen selbst würden als Richter im Jüngsten Gericht die Heiligenverehrer als Gottesschmäher richten, die durch andere Instanzen als Christus Heiligkeit erlangen wollten und somit Christus verwürfen. Siehe KGK 252 (Textstelle).
37Barge, Karlstadt 2, 54 spricht von einer »weltabgewandte[n] Sabbatseligkeit«. Zu den Unterschieden siehe KGK 252 (Textstelle).
38An dieser Stelle kündigt Karlstadt eine Schrift über den Vorgang der Versöhnung mit Gott durch die sieben Geister der Offenbarung vor dem Thron Gottes an (Bezug auf Offb 1,4; 3,1; 4,5; 5,6); siehe KGK 252 (Textstelle).
39Zur dörflichen Sozialstruktur der Ämter Orlamünde und Leuchtenburg vgl. Schwarze, Soziale Struktur, 97–104 Tab. 9–16. Die ernestinische Landesordnung von 1482 verfügte einen Arbeitszwang für Dienstleute (innerhalb von 12 Tagen nach einem Dienstende musste Gesinde ein neues Dienstverhältnis angetreten haben) und eine Lohn- und Kostordnung, die Höchstlöhne für Dienstleute festlegte. Vgl. Richter, Landesordnungen, 48–52; Schwarze, Soziale Struktur, 80f. Zu den bäuerlichen Diensten, Fron, Abgaben und Erbzins im zeitgenössischen Kursachsen vgl. Haun, Bauer, 162–185; zum Gesindedienstzwang von Bauernkindern ebd., Haun, Bauer185–187; zu den Diensten der Hausleute (Einlieger, die zur Miete wohnten) ebd., Haun, Bauer187–189.
40Die erste ernestinische Landesordnung von 1446 enthielt noch Aspekte der religiösen Fürsorge für die Untertanen. Sie gebot eine Sonntagsheiligung, die auch für Dienstleute zu gelten habe; bei Übertretung der Verordnung hatte der Dienstherr zwei Pfund Wachs zur Strafe zu erbringen. Zugleich reglementierte sie mit dem Verbot des Zutrinkens das öffentliche Trinken und stellte das Topfspiel unter Strafe. Vgl. Richter, Landesordnungen, 36; 42f.Die thüringische Landesordnung von 1452 war beeinflusst von den Predigten des Johannes Capestranus (1386–1456) und ging in ihren Forderungen über die erste von 1446 hinaus: Der Sonntag sollte gefeiert werden und arbeitsfrei sein, in der Woche aber dürfe es keinen Müßiggang geben. Kartenspiel und Zutrinken seien verboten. Gekündigte Knechte dürften sich nicht länger in Städten und Tavernen aufhalten, sondern sollten auf dem Land arbeiten. Verweigerten sie dies, seien sie zu bestrafen oder auszuweisen. Vgl. Wuttke, Gesindeordnungen, 8. Damit wurde faktisch der Arbeitszwang eingeführt, den die folgende Ordnung von 1482 in den Mittelpunkt der Vorschriften für Dienstleute stellte. Sie erwähnt aber das Gebot der Sonntagsheiligung nicht mehr; übrig blieb nur, dass während der Messe niemand außer Wandersleute und Fremde Schenken besuchen dürften. Das öffentliche Trinken wurde nun aber durch vermehrte Anordnungen überwacht. Vgl. Richter, Landesordnungen, 46–54.
41Zur Kritik an unmäßigen Diensten vgl. auch Joestel, Ostthüringen, 97f.
42Seit 1522 häuften sich in den Ämtern Leuchtenburg und Orlamünde Beschwerden der Bauern über Frondienste sowie Zehnt- und Zinsforderungen, ihre Anzahl stieg von 20 im Jahr 1522 auf 48 im Folgejahr und 55 im Jahr 1524; es kam zur Verweigerung von Diensten und Abgabenzahlungen. Vgl. Joestel, Ostthüringen, 118–136; Joestel, Bauernkriegders., Bauernkrieg, 200–204; Joestel, Von dem Sabbatders., Von dem Sabbat, 216–218; Löbe, Vorgänge in Jena, 209–211.
43Vgl. Furcha, Essential Carlstadt, 317: »[…] he sought to encourage a style of Christian living that would manifest the simplicity of the gospel while not acting too aggressively against established religious practices.«
46Ebd. Stupperich, Karlstadts Sabbat-Traktat371f. verweist auf folgende Wendungen: Gott müsse die Menschen »stracks ansehen«, um Ablenkung durch die Umwelt zu verhindern; Gott »beherzigen« etc. Krause, Sprache Karlstadts, 70f. stellt u.a. die »Inwendigkeit« der Offenbarung Gottes und die Beschneidung des Herzens, das unter »groben heuten« liege, als mystische Terminologie heraus.
47Vgl. Stupperich, Karlstadts Sabbat-Traktat, 372 zur Übernahme der Begriffe »Langweiligkeit« und »gelassen« aus der Theologia Deutsch (Theologia Deutsch (Franckforter), 101,7; 140,12f.), während sich die »Gelassenheit« in Taulers Predigten wiederfindet. S. hierzu Karlstadts Einträge in seinem Handexemplar Tauler, Sermones (1508), fol. e10r [letzte Seite, ungez., Standort: RFB Wittenberg, H Th fol. 891]; vgl. Bubenheimer, Tauler, 8–11; Hasse, Tauler, 76–84 u. 183f. Seuse spricht vom Loslassen des »Sich« und dessen »unwidernehmlicher Entwerdung«, bevor die Seele in die Einigkeit mit Christus und zu Gott zurückgelangt; vgl. Seuse, Buch (1512), fol. X1v–X2r bzw. Seuse, Deutsche Schriften, 334f. Stupperich, Karlstadts Sabbat-Traktat, 372 u. 375 meint, dass die »bittere Gelassenheit« als Erleiden Gottes und auch die »Sehnlichkeit« Entlehnungen von Müntzer seien und verweist auf Begriffsverwendungen in Müntzer, Emplössung (1524), C3v–C4r. Doch finden sich das Verlangen und die Sehnsucht nach Gott bereits 1522 im Sermon vom Fegefeuer (KGK V, Nr. 233, S. 356, Z. 13–24). Die Vorstellung, die Gelassenheit in »leydender weyße« zu erfahren, wie in Von dem Sabbat ausgedrückt, ist in der Theologia Deutsch vorgeprägt: »Unnd wer got gehorsam gelaßen und underthan sal und wil seyn, der muß und sal allen gelassen, gehorsam und underthan syn yn lydender wiße und nicht yn thunder wiße […] Sich, also is eß euch, wer sich got gentzlichen laßen sal und gehorsam seyn, der muß allen gelassen und gehorsam seyn yn lidernder weiße […].« (Theologia Deutsch (Franckforter), 101,6–8; 140,12f.). Stupperich, Karlstadts Sabbat-Traktat, 372 betont das fehlende biblische Vorbild in Karlstadts Vorstellung von der Übergabe der Seele an Gott und erkennt eine augustinisch-mystische Inspiration, doch wirken hier ebenso die oben genannten mystischen Vorbilder.
48Ob in der Verbindung der Gegenwart mit alttestamentlichen Forderungen tatsächlich ein Anklang an Forderungen der Bauernschaft zu erkennen sei, wie Stupperich, Karlstadts Sabbat-Traktat, 373meint, oder es sich nicht eher um eine Fortentwicklung der Karlstadtschen Theologie handelt, sei dahingestellt.
50Vgl. Schubert, Sabbat, passim.
51S. Reuchlin, Werke 2.2, 356,35: »Memora diem sabbathi ad sanctificandum illum, videlicet animae vires coniungendo menti ad comtemplationem […].« Vgl. Schubert, Sabbat, 110 sowie im vorliegenden Werk KGK 252 (Anmerkung).
52Reuchlin hatte den Wasserlauf in Jer 17,8, in den der Baum seine Wurzeln ausgestreckt habe, als die Jubelzeit ausgelegt. Vgl. Reuchlin, Werke 2.2, 360,1–10. S. hierzu Schubert, Sabbat, 100 u. 109f.
53WA 1, 250; 436,16f. Vgl. Kaiser, Ruhe der Seele, 23f.
54Vgl. WA 6, 243,5–250,16. Vgl. Kaiser, Ruhe der Seele, 34.
55WA 6, 244,5f. Vgl. Kaiser, Ruhe der Seele, 35.
59Luther, Eine kurze Form der zehn Gebote: »Wer nit gelassen stett yn allen seynen wercken und leyden, das gott mit ym mache wie er wil.« (WA 7, 209,8f.). Vgl. Kaiser, Ruhe der Seele, 41. Allerdings müsse der Gläubige alle Laster in sich »erwürgen«, wenn Gott in ihm wirken solle (WA 6, 244,14–17).
60WA 9, 331,16f. Vgl. Kaiser, Ruhe der Seele, 43. Gleichwohl bleibt die Unterscheidung der geistlichen von der leiblichen Sabbatfeier bestehen. Vgl. WA 6, 243,21–244,13.
62Melanchthon an Johannes Hess, 14. April 1520: »Sabbatum est, quo natura operari cessat, sed in nobis Christus operatur.« (MBW 1, 196,93f. Nr. 84). Vgl. hierzu Stupperich, Karlstadts Sabbat-Traktat, 371 und Kaiser, Ruhe der Seele, 105.
63MWA 2.1, 47,28–35: »Tertium praeceptum iubet, ut sabbatum sanctificetur, ut vacemus a nostris operibus, hoc est ut patiamur ac toleramus opus dei, mortificationem nostri. […] Exigit enim liberi arbitrii mortificationem.« Vgl. Kaiser, Ruhe der Seele, 105.
64CR 13, 773f. Vgl. Kaiser, Ruhe der Seele, 105.
65Supplementa Melanchthoniana 5.1, 7,1–9.16–18; 10,6–20. Vgl. Kaiser, Ruhe der Seele, 106. Die Verbindung mit der Vaterunserbitte (Lk 17,21) findet sich auch bei Luther, Von den guten Werken (1520): »Das dritte ›zukomme deinn reich‹, darinnen wir den rechten sabbat und feyr, stille ruge unserer werck, bittenn, das allein gottis werck in uns sey und also got in uns als in seinem eigen reich regire […].« (WA 6, 250,7–9).
66Reuchlin, Werke 2.2, 360,32f. Vgl. Schubert, Sabbat, 112.
67Vgl. Luther, Von den guten Werken: »sabbat ist nu uns in den sontag vorwandelt […].« (WA 6, 243,11).
68WA 6, 243,25f.
69WA 6, 243,13–16.
70In LuthersPredigt bei der Einweihung der Schlosskirche zu Torgau (5.10.1544) heißt es, dass die Festlegung auf Sonntag ohne theologische Notwendigkeit erfolgt sei. Die Bestimmung des Feiertages obliege daher der weltlichen Obrigkeit (WA 49, 590,5f.; 590,8–591,7; 592,13–15 Nr. 35). Vgl. Kaiser, Ruhe der Seele, 125–127.
72Cochlaeus, De authoritate (1524), fol. G4v–H1r referiert Thomas von Aquin, für den die Verlegung des Sabbats auf den Sonntag zeige, dass der Dekalog obsolet sei. Siehe Thomas, S. th. II–II q. 122 art. 4 ad 4; die theologische Fundierung des Sonntags in Thomas, S. th. I–II q. 103 art. 3 ad 4: »Sabbatum autem, quod significabat primam creationem, mutatur in diem Dominicum, in quo commemoratur nova creatura inchoata in resurrectione Christi.« (Thomas, Opera (Leonina) 7, 255). Vgl. hierzu Kaiser, Ruhe der Seele, 137–139.
73Am 6. Februar 1525 schrieb Wolfgang Capito an Zwingli über diese Gruppe: »Sunt, qui sabbatum asserverunt servandum.« (Zwingli, Werke 8, 303,1).
74WA.B 3, 254,6f.; 21f.; 23–27 Nr. 720: »Caeterum dolens legi monstra Carlstadii. Sed Deus restitit Iudaeis diu, ne filium suum perderent […]. Qui iudicalia Mosi iactant, contemnendi sunt. Nos habemus nostra civilia, sub quibus vivimus. […] Leges Mosi solum Iudeum populum in loco, quem elegisset, ligabant, nunc liberae sunt: alioqui si iudicialia servanda sunt, nulla est ratio, cur circumcidamur quoque, et omnia ceremonialia servemus.« Noch am selben Tag, dem 14. März 1524, erwähnt Luther auch gegenüber Nikolaus Hausmann in Zwickau die Ungeheuerlichkeiten (»monstra«), die Karlstadt hervorgebracht habe: »Parum esset, si Carlstadius ingratus esset, nisi etiam atrocius nos persequeretur, quam papistae: multa monstra parturit, ut Spalatinus mihi conqueritur, ut suo tempore scies.« (WA.B 3 256,16–19 Nr. 721).
75Der Kommentar zur Luther-Ausgabe vermutet, dass es sich bei den »monstra« um Nachrichten über Karlstadts Orlamünder Reformen gehandelt habe. Vgl. WA.B 3, 255 Nr. 720 Anm. 3. Doch verwendete Luther denselben Begriff in einem Brief am 30. Oktober 1524 an Gottschalk Cruse (WA.B 3, 366,14f. Nr. 788), also nach der Ausweisung Karlstadts aus Sachsen und nach dem Ende seines Reformprojekts in Orlamünde, sodass geschlussfolgert werden kann, dass ein Bezug auf Karlstadtpublikationen besteht.
76Vgl. dazu Kaiser, Ruhe der Seele, 112–115.
77Vgl. WA 18, 77,20–78,4. Siehe KGK 252 (Anmerkung).

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