Nr. 226
Andreas Karlstadt an Hektor Pömer
Wittenberg, 1522, 27. März

Text
Bearbeitet von Harald BollbuckUlrich Bubenheimer

Buchsymbolv Reverendo et clarissimo viro
Domino Hectori1 N'ostro'2 praepo-
sito Nurembergensi ac Legum
Doctori etc. patrono suspiciendo〈.〉

Buchsymbolr Gratiam et pacem dei. Quanquam〈,〉 reverende proposite, nullo obsequio
tuam R'everentiam' sum demeritus, ut quantulacumque fiducia te compel-
lam, super re communis amici et fratris nostri,3 quem novisti4
olim hic non sine magna populi laudatione solitum con-
cionari atque iuventutem primis elementis imbuere. Attamen
claritudo tua, ac ista pietas, humanitasve multis nobis
nominibus conspicua quidquid metus insederat expulit.
Te igitur quaeso, Hector humanissime, digneris illi
cum mei. tum fraternae caritatis contemplatione et consilio
et favore adesse. Equidem, quod ad me attinet, perinde
auxilia tua in eum collata, atque in me essent effusa
reputabo. Martinus hic, facto, sua incipit recantare,5
non sine gravissimo vicinorum dolore, qui se appellari
volunt evangelicos, obtendit bonus pater caritatis
respectum,6 et dum eam locupletat, nullus est apud fortes
erga vivificatosa fide securitatis locus. nullus eciam
caritatis amplexus
〈.〉 Ego testor deum ferrem hoc bono
animo, si mea tantum, Deinde vel sua et mea conspurca-
ret, at non modo, quae hominum sunt, sed etb ea revocat et
statuit, imo vult permitti et re celebrari, que ipse ipse
Quanto vis melliti iaculi praesentior tormento catroci7persaepe probavit esse impia et blasphema.8 Homines
non timui, sed iram dei, cuius quaedam indicia et portenta
sunt in caelo aliquibus conspecta.
Dispeream nisi tre-
pidem ab aspectu pessimae nostrae inconstantiae. faxit
deus optimus maximus ut suad gloria tantum emineat etc. Haec
ut dolenter scribo tibi academiae praecipuo, sic ardenter
oro〈,〉 quatinus protinus 〈[…]〉 exuras. Nolui enim isthaec eo stylo
scribere, qui dignus esset quovis lectori. Concerpe igitur statim
et illum iuva, quem adiuvandum non dubito. Vale feliciter
et me ama. Optarem et ego nosse〈,〉 qua tu sis vale-
tudine, quo denique studio contra nos connitantur tyranni.
Datum celerrime Wittenbergae die Iovis post Oculi9 xxij.
cela famam inimicis qua poteris diligentia, fortasse dominus
lapsum eriget.

T'uae' D'ominationis' R'everendae'

obsequibilis

Carolostadius

Georgius Mohr10 est

pro quo rogavi rogoque.


avom Editor verbessert für vivivificatos
büber der Zeile hinzugefügt
cvom Editor verbessert für attroci
düber der Zeile hinzugefügt

2Die Expansion der Abkürzung bleibt Vermutung.
4Entweder war Pömer im November/Dezember 1521 wieder in Wittenberg, oder er war schon über Mohrs Predigttätigkeit informiert worden.
5Luther hatte nur drei Tage nach seiner Rückkehr von der Wartburg nach Wittenberg am 6. März mit den Invocavitpredigten begonnen, acht Predigten, gehalten zwischen dem 9. und 16. März 1522. Sie kritisierten die Messreformen als ein äußerliches Christentum, das die brüderliche Liebe in der Gemeinde vernachlässigt und keine Rücksicht auf die im Glauben Schwachen genommen habe (WA 10.III, 1–64); vgl. hierzu zuletzt Krentz, Ritualwandel, 227–230; Kaufmann, Junker Jörg, 53 f. Anm. 11 f. Die außerhalb Wittenbergs gedruckte textliche Fassung divergierte von der ursprünglichen Predigtform, die sich ad personam massiver gegen Karlstadt und Gabriel Zwilling richtete; vgl. Wieden, Predigten, 449 f.; Bubenheimer, Luthertexte, 240.
6Zur Wendung von der fehlenden Rücksicht auf die Schwachen bei den Reformern und der Wiederherstellung der christlichen Liebe in der Gemeinde durch Luther, die zur gültigen Sprachregelung hinsichtlich der Ereignisse in Wittenberg wurde, vgl. KGK 226 (Textstelle).
7Bubenheimer, Heimat, 28 erkennt in dieser Randbemerkung einen spitzen Kommentar zu Luthers Invocavitpredigten. Dessen Rede von der Schonung der Schwachen sei süßer Honig, den alle gerne schmeckten und der der Gemeinde jede Mühe der Veränderung und Reform erspare. Das biblische Gesetz Gottes aber, auf dessen Einhaltung Karlstadt und – aus seiner Sicht – vordem auch Luther gepocht hätten, sei wie eine harte Marter, da der Gläubige gemäß seiner Bußlehre angesichts der eigenen Sünden durch das Tal der inneren Zerrissenheit und Unsicherheit gehen müsse, bevor er das Stadium der Gelassenheit erlangt. Auf eine weitere interessante Parallele zur 20. These der 47 Conclusiones de coniuratione mortuorum weist Oehmig, Fegefeuer, 89 hin. Dort heißt es, dass der Teufel sein Schwert honigsüß mache (KGK 225 (Textstelle)).
8Karlstadt bezieht sich auf Luthers vormalige Aussagen zur päpstlichen Tyrannei, den Laien das Abendmahl in beiderlei Gestalt und die Gabe des Leibes Christi in die Hand zu verweigern sowie auf seine Ablehnung der Beichte vor dem Abendmahl. Vgl. WA 6, 506,14–17; 33 f.; WA 57.3, 167,24–168,4; WA 9, 447,24–30; WA 8, 445,7–10. Nun aber, in den Invocavitpredigten, drohte Luther angesichts der in seinen Augen die göttliche Liebe in der Gemeinde bedrohenden, überhasteten Reform mit göttlicher Strafe: »[…] und hand hirinne also gehandelt mit dem sacrament, welchs unser hoͤchster schatz ist, das nit wunder were, der donner und plitz hette eüch in die erden geschlagen.« (WA 10.III, 42,7–9). Gerade in ihrem Bezug auf den Sakramentsgebrauch musste diese Drohung Karlstadt hart treffen. Wie sehr und wie schnell die Stimmung gegen die Reformbefürworter Karlstadt und Gabriel Zwilling gekippt war, zeigt der Bericht von Hieronymus Schurff für Kfst. Friedrich III. (9.3.1522) an, in dem es heißt, dass der Teufel bei den Reformen im Spiel war: »Solche Schalckhait und Boshait weiß der Teufel maisterlichen unterm Schein und Gestalt der Wahrhait einzuführen, und ist aus diesem und anderm ungeschicktem Predigen fast das ganz Düdschland nicht ain wenig geärgert und belaidigt worden.« (WA.B 2, 463,36–39 Nr. 456). Zur Stigmatisierung der kritisierten Reformer durch Luther als Werkzeuge des Teufels vgl. Bubenheimer, Luthers Invocavitpredigten, 32 f. u. 36.
9Donnerstag nach Oculi (23. März) = 27. März.

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