Nr. 198
15 Conclusiones: De evangelio et lege
Wittenberg, 1521, 11. Oktober

Einleitung
Bearbeitet von Harald Bollbuck

1. Überlieferung

Frühdruck:

[A:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
PRAESIDE EGREGIO DOMINO ∥ Doctore Andrea Carolſtadio, Theologıæ fa⸗∥cultatis Decano, F. Henrı. Aurifaber ſacræ ∥ Theologıæ lector, die veneris proximæ futu∥ra ad ſequentes concluſiones reſpondebıt, ∥ hora ſeptima matutina, pro Bacalau⸗∥reatus gradu,quem Bibli⸗∥cum uocant.
in:
Luther, Martin; Melanchthon, Philipp; Karlstadt, Andreas Bodenstein von
LVTHERI, ∥ MELANCH. CAROLOSTADII &c. ∥ PROPOSITIONES, VVITTEM⸗∥BERGAE uiua uoce tractatæ, in hocq́; ple∥ræq; æditæ ab auctorıbus,ut uel nos abſentes ∥ cum ipſis agamus,uel certe ut ueri⸗∥tatis, & ſeductionum ad∥moneātur boni. ∥ Sunt autem id genus, ∥ De ∥ Miſſa & celebratione eius. ∥ Sacramento panis & uini. ∥ Promißione & præcepto. ∥ Fıde & operibus. ∥ Cantu Gregorıano. ∥ Coniuratıone ſpirituum. ∥ Cœlıbatu preſbyterorum. ∥ Decımis ac uotis. &c. ∥ BASILEAE. M. D. XXII. ∥ [Am Ende:] BASILEAE ANNO ∥ M. D. XXII. ∥
Basel: [Adam Petri], 1522, fol. G2v–G3r.
8°, [56] Bl., A8–G8, fol. A1v und G8v leer.
Editionsvorlage:
ÖNB Wien, 77.Cc.281.
Weitere Exemplare: BSB München, Polem. 3020, 13. — RFB-Luthergedenkstätten Wittenberg, Ag 8 548d. — RFB-Luthergedenkstätten Wittenberg, SS 1516. — RFB-Luthergedenkstätten Wittenberg, SS 2272. — RFB-Evangelisches Predigerseminar Wittenberg, LC590/1. — RFB-Evangelisches Predigerseminar Wittenberg, NH C13/3.
Bibliographische Nachweise:

Edition:

Literatur:

2. Entstehung und Inhalt

Anlaß und Zeitpunkt für die Thesenreihe ergeben sich aus dem Titel der Drucküberlieferung. Demnach wurde über die Thesen unter Karlstadts Vorsitz anläßlich der Promotion des Heinrich Aurifaber1 zum Baccalaureus biblicus am 11. Oktober 1521 disputiert.2 Es liegen inhaltliche Ähnlichkeiten mit seiner Schrift De legis litera (KGK 197) vor,3 sodass es möglich ist, dass Karlstadt die Thesen benutzte, um die Stichhaltigkeit einiger Argumente in der Disputation prüfen zu lassen.

Die 15 Conclusiones de evangelio et lege umfassen Thesen folgenden Inhalts: (1.) Für Gläubige ist das Evangelium die Kraft Gottes, für Ungläubige der Hauch des Todes. (2.) [Auch] Gottlose und Ungerechte erkennen durch die Wahrheit Gottes (d. h. das Gesetz) die Macht und Göttlichkeit, aber sie bleiben unwillkommen. (3.) Also ist die Wahrheit für jene die zum Tode. (4.) Die Bosheit entnimmt der Wahrheit den Anlass zur Lüge. (5.) So fertigten die Juden, nachdem sie das Gesetz angenommen hatten, für sich Götter, (6.) nämlich das Bildnis eines ausgelassenen Kalbes und das Gesetz eines zerschmetternden [Gottes]. (7.) Das Gesetz treibt hin zu einem milden, duldsamen und gütigen Gott und führt weg von einem zürnenden, richtenden Gott. (8.) So wie das Gesetz den Geist austreibt [tötet], so betreiben wir nie das Werk des Gesetzes, außer im Geiste. (9.) Wer im Herz beschnitten ist, der ist in der Hauptsache beschnitten; wer aber nur im Fleisch beschnitten ist, ist es vergeblich und fruchtlos. (10.) Von sich aus treibt das Gesetz nicht von Gott weg, sondern es verbindet mit Gott diejenigen, die sich mit ihm [dem Gesetz] verbunden haben. (11.) Also macht es die Gläubigen lebend, so wie jedes Wort, das vom Mund des Herrn ausgeht, die Unfrommen tötet. (12.) So wie das Gesetz nicht rechtfertigt, so auch nicht die Predigt der Verheißung. (13.) Der Glaube aber rechtfertigt, der durch die Verheißung offenbar wird und im Gesetz eine Form hat. (14.) Wer sich anstrengt, dass er im Gesetz gerechtfertigt wird, der bestätigt, dass Christus für ihn vergeblich gestorben ist. (15.) Das Gesetz ist vornehmlich die Erkenntnis der Sünde, es schließt Gerechte und Ungerechtfertigte unter der Sünde ein.

Es sind Parallelen zu Melanchthons Thesenreihe De lege, evangelio et fide erkennbar. So findet sich in beiden die Argumentation, dass das Gesetz zur Erkenntnis der eigenen Sünden diene, aber nicht rechtfertige (hier These 2; bei Melanchthon Thesen 5–8)4, die Verheißung der Gnade liege nur im Evangelium (These 13, bei Melanchthon Thesen 2 und 25)5. Die Thesen 3 und 11 werden in den 26 Conclusiones in locum Pauli (KGK 202) wieder aufgenommen. Die Thesen 5 und 6 liefern eine Kritik an den statuarischen Götzenbildern (und ihrer Idolatrie) und eröffnen eine Differenz zum verdammenden [alttestamentlichen] Gott, der aber gemäß 7. These im Gegensatz zu einem gütigen Gott des Gesetzes stehe. Die Einhaltung des Gesetzes und der Dienst an ihm bestehe im Glauben, der zu einem gütigen Gott treibt und vom zürnenden wegführt. Das Argument dieser und der 10. These werden in De legis litera klarer ausgeführt.6 Weitere Überschneidungen mit dieser Schrift reichen von wörtlichen Anklängen7 bis zu zentralen Fragestellungen wie der geistlichen Beschneidung des Herzens (als Dienst am Gesetz und offenherziger Gottesglaube).8 Die Thesenreihe diente offensichtlich der Diskussion einiger in De legis litera ausgeführter Argumentationen.


1Nur eine Woche zuvor, am 4. Oktober 1521, war der Augustiner Henricus Goltsmid (Aurifaber) aus dem Konvent in Erfurt immatrikuliert worden (»ordinis s. Augustini lector theologie conventus Erfordiani«), vgl. AAV 1, 108; gemeinsam mit seinem Lektoratskollegen aus dem Konvent, Gottschalk Crop (s. KGK 199 (Anmerkung)).
3Vgl. Barge, Karlstadt 1, 316, jedoch erkennt er fälschlich Übereinstimmungen mit »seiner Schrift De spiritu et litera, bei deren Ausarbeitung er in diesen Tagen wohl noch tätig war.«
4Vgl. MWA 2.1, 122,20–29.
5Vgl. MWA 2.1, 122,14 u. 124,8 f.

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