Nr. 96
Andreas Karlstadt an Georg Spalatin
Wittenberg, 1518, 20. Oktober

Einleitung
Bearbeitet von Alejandro Zorzin

1. Überlieferung

Editionen:

Literatur:

2. Inhalt und Entstehung

Karlstadt ist aus Meißen von der »bischöflichen Rüstkammer« zurück; einem Brief Spalatins an ihn entnimmt er, dass keiner der von ihm an Spalatin gesandten Briefe diesen erreicht hatte. Mit einem Priester als Boten hatte Karlstadt am 13. Oktober eine Sendung an Spalatin geschickt; er vermutet, der Bote könnte der Pest zum Opfer gefallen sein und entschuldigt sich bei Spalatin für das, was verloren gegangen war (u. a. Karlstadts Verteidigung, Spalatins Klagen der dunklen [Männer] und ein Brief des Dr. [Bartholomäus Arnoldi aus]Usingen). Was Spalatin ihm vom Hass der Leipziger [gegen die Wittenberger] berichtet, überrasche ihn nicht. In Meißen habe der Domdekan [Johannes Hennig] ihn keines Wortes gewürdigt; mit den Herren [Magnus] Hund und [Hieronymus Dungersheim aus]Ochsenfurt habe Karlstadt geredet, jedoch ohne Erfolg. Beim Versuch, herauszufinden, was sie planten, stieß er einzig auf Hass. Er habe aus Liebe zur Wissenschaft beschlossen, gegen sie zurückzustechen. Er werde es ohne Hinweis auf Namen und Titel tun, aber so, dass ihnen deutlich wird, dass sie damit gemeint seien. Philipp [Melanchthon] findet er liebenswert und loyal, sehr gelehrt und begabt; Karlstadt setzt große Hoffnungen in ihn und befürchtet nicht, dass er Wittenberg verlassen wird. Er schickt Spalatin zwei Exemplare [seiner Defensio], damit er sie weiterleitet und bittet ihn, Karlstadt dem Kurfürsten und einigen Hofleuten anzuempfehlen.

Am Montag, den 18. Oktober 1518, hatte in Meißen die Konsekration des Johann VII. von Schleinitz1 zum Bischof stattgefunden. Wohl zu diesem Anlass war Karlstadt nach Meißen gereist und nutzte seinen Aufenthalt, um im Kreis der Domherren (den er ironisch bischöfliche Rüstkammer nennt) Gespräche zu führen. Am Mittwoch, den 20. Oktober, war er wieder in Wittenberg zurück und entnahm einem während seiner Abwesenheit eingetroffenen Brief Spalatins (KGK 095), dass mehrere Briefe und eine Sendung Karlstadts – die er am 13. Oktober abgeschickt hatte – verlorengegangen waren. Karlstadt Angaben zum Sendungsinhalt (»[…] apologeticam nostram, tuas […] obscurorum miseras lamentationes, ac literas Doctoris Vesingii[…]«) lassen sich folgendermaßen interpretieren: als erstes könnten entweder die Apologeticae Conclusiones (KGK 085) oder, wahrscheinlicher, die Defensio gegen Eck (KGK 090) gemeint sein; mit Spalatins»jämmerlichen Klagen der dunklen [Männer]« könnte es sich um einen Spalatintext, aber wohl eher um eine Schrift gehandelt haben, die dieser Karlstadt ausgeliehen hatte. Spalatins und Karlstadts Interesse an Reuchlin und seinem Prozess (vgl. KGK 014 und KGK 028) legen nahe, dass es sich möglicherweise um ein Exemplar der im März (bzw. August) 1518 in Köln gedruckten Lamentationes obscurorum virorum gehandelt haben könnte.2 Beim dritten Hinweis auf »[…] den Brief Doktor Vesingis, der unsere Anmerkungen (notae) ausdrücklich gutheißt […]«, könnte es sich um einen Brief des Augustiners und Erfurter Dozenten Bartholomäus Arnold (aus Usingen)3 an Karlstadt (?) gehandelt haben, in dem sich der wohlwollend zu Thesen des Wittenbergers äußerte (vielleicht aus den Apologeticae Conlusiones).


1Johann von Schleinitz (1470–1537); vgl. WA.B 1, 301. Der Leipziger Magister und Humanist Johannes Tuberinus († vor 1522) veröffentlichte zu dieser Bischofsweihe eine Lobeshymne, die im November 1518 in Leipzig gedruckt wurde (B 2372). Der vorherige Bischof Johannes VI. (von Salhausen) war am 10. April 1518 verstorben (vgl. Pasig, Johannes VI., 46; Volkmar, Reform, 204ff.).
2Die von Ortwinus Gratius (vgl. VerLex (Hum) 1, 929–956) verfassten Lamentationes obscurorum virorum, deren erster Kölner Druck (ohne Hinweis auf den Verfasser) im März 1518 erschien; ein zweiter Kölner Druck (mit einem Zusatz weiterer fingierter Briefe und der Angabe: »Ortwino Gratio auctore«) wurde im August 1518 veröffentlicht (vgl. Gratius, Lamentationes 1, 328–416).
3Zu Bartholomäus Arnoldi (1465–1532) vgl. VerLex (Hum) 1, 47–57. Auf dem gemeinsamen Rückweg vom Heidelberger Augustiner-Kapitel Anfang Mai 1518 hatte sich Luther bemüht, Arnoldi von der neuen Wittenberger Theologie zu überzeugen (vgl. WA.B 1, 173,40–175,44: »Cum doctore Usingen pluribus quam cum omnibus aliis egi, ut persuaderem (Erat enim socius vectureae), Sed nescio an quid profecerim. Cogitabundum et mirabundum reliqui.«).

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