2. Inhalt und Entstehung
Spätestens mit seiner Aufnahme in die neugeschaffene Gruppe der vier jungen thumbhern am Wittenberger Allerheiligenstift (1508)1 kamen für Karlstadt neben den Vorlesungen und Disputationen an der Universität auch gottesdienstliche Handlungen in der Schlosskirche hinzu. Seit seiner Beförderung daselbst in das höher dotierte Kanonikeramt des Archidiakons (1510/112) war er kraft Amtes der Stiftsprediger3 und hatte über das Jahr Predigten zu halten.4
Im Druck fand seine Predigttätigkeit erst Verbreitung mit der Publikation seines Abendmahlssermons, gehalten anlässlich der ersten öffentlichen Messfeier unter beiderlei Gestalt (am Weihnachtstag 1521).5 Von Karlstadts Predigten der vorangegangenen Jahre scheinen sich bis auf die Nieder- oder Mitschrift der 1518 zum Kirchenfest Purificationis Mariae/Lichtmess (2. Februar)6 in Wittenberg gehaltenen Predigt keine literarischen Spuren erhalten zu haben.7 Einem Hinweis im Brief an Georg Spalatin vom 11. April 1518 zufolge plante Bodenstein, einige Predigten für das Jahr zu verfassen.8 Im – heute verschollenen – handgeschriebenen Predigtabriss des Lichtmess-Sermons 1518 könnte sich eine Spur dieser geplanten Predigtsammlung erhalten haben.
Die Angabe »ex MSto« des Editors Valentin Ernst Löscher9 weist auf eine
handschriftliche Fassung hin. Dabei ließe sich an eigenhändige Notizen
Karlstadts für diese Predigt, oder die von einem Zuhörer erstellte
Mitschrift derselben denken. Die verschollene Editionsvorlage könnte allein
diesen Sermon enthalten haben, aber der Editor hätte auch von mehreren ihm
vorliegenden frühen Predigten Karlstadts nur diese als Beispiel ausgewählt
haben können. Am Ende seiner Transkription fügte Löscher die Bemerkung an:
Die Evangelienperikope zu Mariä Lichtmess (Lk 2,25–32) bietet mit dem Bezug von Simeons Lobgesang auf Jesus als »Licht« (Lk 2,32) ein Stichwort, das Karlstadt für seine Predigt aufgreift. Unter den Handbüchern, die er für die Vorbereitung seiner Predigt benutzte, befanden sich die Predigten des Johannes Tauler und des Bernhard von Clairvaux.10 Auch Bezüge auf Augustin und Johannes Cassian sind nachweisbar.