Nr. 67
Andreas Karlstadts Sermon am Lichtmess-Tag
1518, 2. Februar

Einleitung
Bearbeitet von Alejandro Zorzin

1. Überlieferung

Edition:

2. Inhalt und Entstehung

Spätestens mit seiner Aufnahme in die neugeschaffene Gruppe der vier jungen thumbhern am Wittenberger Allerheiligenstift (1508)1 kamen für Karlstadt neben den Vorlesungen und Disputationen an der Universität auch gottesdienstliche Handlungen in der Schlosskirche hinzu. Seit seiner Beförderung daselbst in das höher dotierte Kanonikeramt des Archidiakons (1510/112) war er kraft Amtes der Stiftsprediger3 und hatte über das Jahr Predigten zu halten.4

Im Druck fand seine Predigttätigkeit erst Verbreitung mit der Publikation seines Abendmahlssermons, gehalten anlässlich der ersten öffentlichen Messfeier unter beiderlei Gestalt (am Weihnachtstag 1521).5 Von Karlstadts Predigten der vorangegangenen Jahre scheinen sich bis auf die Nieder- oder Mitschrift der 1518 zum Kirchenfest Purificationis Mariae/Lichtmess (2. Februar)6 in Wittenberg gehaltenen Predigt keine literarischen Spuren erhalten zu haben.7 Einem Hinweis im Brief an Georg Spalatin vom 11. April 1518 zufolge plante Bodenstein, einige Predigten für das Jahr zu verfassen.8 Im – heute verschollenen – handgeschriebenen Predigtabriss des Lichtmess-Sermons 1518 könnte sich eine Spur dieser geplanten Predigtsammlung erhalten haben.

Die Angabe »ex MSto« des Editors Valentin Ernst Löscher9 weist auf eine handschriftliche Fassung hin. Dabei ließe sich an eigenhändige Notizen Karlstadts für diese Predigt, oder die von einem Zuhörer erstellte Mitschrift derselben denken. Die verschollene Editionsvorlage könnte allein diesen Sermon enthalten haben, aber der Editor hätte auch von mehreren ihm vorliegenden frühen Predigten Karlstadts nur diese als Beispiel ausgewählt haben können. Am Ende seiner Transkription fügte Löscher die Bemerkung an: Vorstehender Sermon, obgleich einige ‖ wenige Blicke der Carolstadtischen ‖ Irrthumer darinnen zu finden / ist ‖ der concentrirten vielen biblischen ‖ Sprüche wegen wohl zu lesen / als ‖ worinnen Carolstadt die meisten ‖ seiner Zeit übertroffen.In der Tat ist die Häufung und Kombination von Bibelstellen im Text auffallend, von denen die meisten nicht ganz wörtlich, sondern sinngemäß zitiert sind.

Die Evangelienperikope zu Mariä Lichtmess (Lk 2,25–32) bietet mit dem Bezug von Simeons Lobgesang auf Jesus als »Licht« (Lk 2,32) ein Stichwort, das Karlstadt für seine Predigt aufgreift. Unter den Handbüchern, die er für die Vorbereitung seiner Predigt benutzte, befanden sich die Predigten des Johannes Tauler und des Bernhard von Clairvaux.10 Auch Bezüge auf Augustin und Johannes Cassian sind nachweisbar.


1Barge, Karlstadt 2, 525 u. 528, Anlage Nr. 1. Das von Barge als Ordnung der Stiftskirche zu Wittenberg, 1508 edierte Dokument (ebd., 525–529) enthält dem Kürfürsten seitens des Stifts vorgebrachte Überlegungen zu der sich aus der Pfründenneuregelung und Personalerweiterung ergebenden Situation. Grundlegend sind die Daten und Materialzusammenstellungen in Bünger/Wentz, Brandenburg, 75–164.
2Vgl. hierzu Bubenheimer, Consonantia, 11 Anm. 1.
3Barge, Karlstadt 2, Anlagen Nr. 1, 528: »[…] die predicature yn der stiefftkirchenn sall der Archydiaconus vorsorgen.« Unter den Festgottesdiensten, »die eynem yedern [Thumbherren] yn sunderheit geburen«, werden als »Archidiacons feste« aufgezählt: Johannis Baptistae (24. Juni), Neujahrstag (1. Januar), Wenceslai Regis (28. September), Praesentationis Mariae (21. November) und Annae matris Mariae (26. Juli), ebd., 527.
4Im Jahr 1517 bemühte sich das Würzburger Domkapitel, Karlstadt als Domprediger zu gewinnen (Barge, Karlstadt 1, 56f.). Im Februar 1522 bemerken die kurfürstlichen Räte, die damals bemüht waren, Karlstadt zu einem freiwilligen Verzicht auf Ausübung seines Predigtamtes zu bewegen, dass er sein Predigtamt zeitweise nicht ausgeübt habe (vgl. MBW T. 1, Nr. 211,73–75). Nach unserer Kenntnis war das zumindest während seiner Romreise 1515/16 der Fall. Damals hatte Karlstadt Wittenberg verlassen, ohne die Vertretung in seinen Stifts- und Universitätsämtern einschließlich der Predigtverpflichtung geregelt zu haben (vgl. Bubenheimer, Consonantia, 28 Anm. 77).
5Von den Empfahern: zeychen: und zusag des heyligenn Sacraments fleysch und bluts Christi; Freys/Barge, Verzeichnis, Nr. 54. Auch schon März/April 1519 hatte Karlstadt einem Drucker eine Predigt über das Verhältnis göttlicher und kirchlichen Gebote gegeben (vgl. Olearius, Scrinium (1671), Nr. 36, 62), die aber nicht erhalten ist.
6Erwähnt von Barge, Karlstadt 1, 112f. und Bubenheimer, Consonantia, 178. Dem Predigtdatum ist zu entnehmen, dass Karlstadt entweder über jene dem Archidiakon zustehenden Festtagsgottesdienste hinaus gepredigt hat, oder die (s. KGK 067 (Anmerkung)) 1508 festgelegte Ordnung im Jahr 1518 keine Gültigkeit mehr besaß.
71514 hatte Karlstadt eine handschriftliche Sammlung seiner Predigten noch nicht angelegt. Ein Anonymus, der 1514 seine Manuskripte sehen konnte, nennt eine Reihe von akademischen Schriften, Briefe und Epigramme (zit. bei Bubenheimer, Consonantia, 16f., vgl. KGK 003 und KGK 012), jedoch keine Predigten.
8»Ego, ut scias mentis institutum meae, imo tuae, libenter velim aliquos facere sermones aut totius anni […]« KGK 075 (Textstelle).
9Valentin Ernst Löscher (1673–1749) Vgl. NDB 15, 63f.; RGG4 5, 518. Löscher veröffentlichte gleichfalls »ex MSto« einen Lichtmess-Sermon von Luther »A. 1518« (Löscher, Nachrichten (1703), 67–74); dessen Jahresangabe korrigierte er aber später in »A. 1517« (Löscher, Reformations-Acta I, 795). Zu dem verschollenen Manuskript, aus dem Löscher frühe Predigten Luthers – und wahrscheinlich auch diese Predigt Karlstadts – edierte, vgl. WA 1, 18f. und 130–132, bzw. WA 4, 587f. und 636–639.
10Die Lektüre von Taulers Predigten, die Karlstadt am 27. April 1517 in Wittenberg erwarb, scheint für ihn ein wichtiger Impuls gewesen zu sein, die Predigt als Medium zur Verbreitung seiner neuen Theologie zu nutzen. Vgl. hierzu Bubenheimer, Tauler und Hasse, Tauler. Zur Vorbereitung dieses Lichtmess-Sermons zugehörige Notizen finden sich in Karlstadts Taulerband Bl. 14v; vgl. Bubenheimer, Müntzer 185, Anm. 236.

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