Nr. 187
12 Conclusiones: De oratione et sacramento panis
Wittenberg, 1521, 22. Juli

Einleitung
Bearbeitet von Harald Bollbuck

1. Überlieferung

Frühdruck:

[A:]Karlstadt, Andreas Bodenstein von
PRESIDE. M. ANDREA CAROLSTADIO, MAGISTER IO⸗∥annes Külſhaimer, Die diue Magdalenæ hora terria pome⸗∥ridiana, in ede Omnium ſanctoꝶ reſpondit ad ſequen̄, cōcluſıones ꝓformatıua. ∥ 1521. ∥
in:
Karlstadt, Andreas Bodenstein von
SVPER COELIBA∥TV MONACHATV ET VIDVITATE AXIOMATA ∥ PERPENSA VVITTENBERGAE. ∥ AND. BO. CAROLSTADII. ∥ VVITTENBERGAE. M.D.XXI.
[Wien]: [Johann Singriener], 1521, fol. E2r.
4°, 18 Bl., A4–E4 (fol. E2v–E4v leer).
Editionsvorlage:
ÖNB Wien, 20.Dd.1095.
Weitere Exemplare: UB München, W 4 Theol.5464:9.
Bibliographische Nachweise:

Diese Thesenreihe ist abgedruckt auf der letzten Seite der Karlstadtschrift Super coelibatu1, allerdings nur in der Ausgabe des Wiener Druckers Johannes Singriener. Sie ist in keiner der drei gedruckt vorliegenden, zeitgenössischen Wittenberger Thesensammlungen zu finden. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Veröffentlichung Singrieners nicht der Originaldruck der Thesenreihe war.2Singriener druckte siebzehn Werke Luthers und sechs von Karlstadt; drei davon sind allein durch seine Ausgaben überliefert.3 Dessen Absicht, als Drucker reformatorischer Schriften unerkannt zu bleiben, lässt sich daran ablesen, dass er konsequent seine Urheberschaft nicht angab und alte Typen benutzte.4 Der Druck der Ausgabe von Super coelibatu zusammen mit der vorliegenden Thesenreihe erfolgte wahrscheinlich im Herbst 1521.5

Handschriften:

Handschriften:

[a:]SB-PK Berlin, Cod. Ms. theol. lat. Oct. 91, fol. 68v–69v
[b:]HAB Wolfenbüttel, Li 5530 (35, 585), fol. 7r–v

Abschrift Heino Gottschalk.

Der Druck und Handschrift b überliefern das Präskript des Thesenblattes samt Titel, Vorsitz, Respondent, Zeitpunkt und Ort der Disputation. Der Druck gibt zudem Contradictiones mit Verweis auf das kanonische Recht an, sodass zu vermuten ist, dass dem Drucker eine Vorlage zur Verfügung stand, die sich dem originalen Thesenblatt eng anschloss. Daher folgt die Edition dem zeitnahen Druck, der allerdings fehlerhaft ist. Die Fehler sind nach den Handschriften verbessert.6

Edition:

Literatur:

2. Entstehung und Inhalt

Die ursprüngliche Vermutung, dass die Thesenreihe für die Promotion Johannes Külshaimers zum Sententiarius (bzw. Baccalaureus biblicus) am 13. Mai 1521 aufgestellt wurde,7 ist durch die Angaben in der Druckfassung wie in der Abschrift Heino Gottschalks (Handschrift b) widerlegt, die beide die Promotion Külshaimers zum Formatus als Anlass der Disputation angeben, die nach Mitteilung des Liber Decanorum am 22. Juli 1521 stattfand.8

Die 12 Conclusiones über das (Stunden-)Gebet und das Sakrament des Brotes diskutieren einschneidende Reformen in die bestehende Abendmahlspraxis.9 Im Ganzen richten sie sich gegen alles Beiwerk während des Abendmahls, welches nicht nur die Gläubigen vom wahren Inhalt der Eucharistie ablenke, sondern auch deren Zeichenhaftigkeit in salvatorischem Sinne beeinträchtige. Die Thesenreihe ist in zwei Blöcke unterteilt. Der erste beschäftigt sich mit Wesen, Inhalt und Sinn des Gebetes, der zweite mit der Messpraxis bezüglich Sakrament des Brotes. Laut erster These bestehe das Gebet unzweifelhaft in der Erkenntnis der eigenen Schwächen, in der Wehklage (über die Sünde), im Bittgebet und in der Danksagung für die Befreiung (von den Sünden). (2.) Alle, die aus anderem Grund beteten, machten dies unüberlegt oder aus pharisäischem Rechtssinn entflammt, doch besänftigten sie Gott nicht, sondern riefen seinen Zorn hervor. (3.) Es sei ein Irrtum des Volkes, begangenes Unrecht durch Gebete sühnen und rechtfertigen zu wollen, der jedoch aus der Blindheit des Klerus entstehe. (4.) Mönche und Priester irrten, die meinten, dass sie durch das Gemurmel der Stundengebete für die von Gott empfangene Gunst (bzw. Pfründe) gerechtfertigt würden. (5.) Am schwersten irrten Priester, Mönche und Laien, die Gott durch Gebete ihren Gehorsam zeigen möchten. (6.) Stundengebete seien des Gebetsnamens unwürdig, da sie gegen die Ordnung Christi, die Gebräuche der Apostel und den alten Brauch des Gebetes eingeführt worden seien. (7.) Päpste hätten keine Macht, jemanden unter dem Gebot der Sünde an welche Tradition auch immer zu binden. (8.) Nicht Weitschweifigkeit, nicht Fülle der Worte, nicht heftiges Geräusch der Lippen, sondern die Sehnsucht der flammenden Seele lasse Gott ein Gebet annehmen. These 9 ist die erste in dieser Reihe zum Sakrament des Brotes. Sie sagt aus, dass das Abendmahlssakrament nicht in einem Gefäß verwahrt werden, sondern jederzeit denen, die darnach verlangten, konsekriert und gebrochen werden solle. (10.) Das vom Papst angeordnete bloße Zeigen der Hostie in der Versammlung der Gläubigen verstoße gegen die Einrichtung Christi und Regeln der Apostelkirche. (11.) Die am Abendmahl teilnehmenden Priester müssen dieses mit dem Kirchenvolk teilen und dürfen das Legat (im Sinne eines Vermächtnisses) nicht gegen die Anordnung des Testators für sich allein in Anspruch nehmen. (12.) Die Bilder Christi, der ruhmreichen Jungfrau und anderer Heiliger seien in den christlichen Tempeln ebenso zu beseitigen wie die festlichen Umzüge abzuschaffen, mit dem das verehrungswürdige Sakrament hierhin und dorthin getragen wird.10

Die Kritik am Stundengebet, an der Unverständlichkeit der Gebete und Lieder für das Volk, mithin der salvatorischen Übersteigerung des gesamten Beiwerks, das den Zeichencharakter der Sakramente als Verheißungen Gottes überlagere, hat Karlstadt mit Luther gemein.11 Einige Thesen wenden sich noch einmal unmittelbar gegen kanonistische Begründungskontexte und scholastische Interpretationen.12 Andere erscheinen kryptisch. These 7 zielt darauf, dass der Papst auf Grund der von Christus erteilten Gnade gar nicht in der Lage sei, die am Gesetz gemessene Sündhaftigkeit der Menschen zu absolvieren. Die Thesen 9 und 10 setzen sich höchstwahrscheinlich mit der in Nord- und Ostdeutschland verbreiteten Aussetzung der Hostie bei den Donnerstagsprozessionen auseinander; einer rituellen Praxis, die von den Fronleichnamsprozessionen ausging und sich mittels Stiftungen auf die allgemeinen Donnerstagsmessen ausbreitete.13 Im 15. Jahrhundert versuchten Bischöfe, die inflationäre Aussetzung des Sakraments zu begrenzen, doch konterkarierten päpstliche Ausnahmegenehmigungen dies. In These 11 meint das Legatum das Vermächtnis, das in der Verwaltung der Verheißung Gottes und deren Zeichen besteht. Dieses Vermächtnis sei vom Testator Christus, der die Verheißung und den neuen Bund mit Gott bzw. das Neue Testament bezeuge, an alle Christen vergeben. Daher können die Sakramente als Zeichen zur Vergebung der Sünden und des ewigen Lebens nur in beiderlei Gestalt an das Volk ausgeteilt werden. Das bedeutet, dass die Privatmesse, das bloße Zeigen des Sakraments und seine Erhebung vor dem Kirchenvolk zur Anbetung, sich gegen die Anordnung des Testators richtet. Es bedeutet aber auch, dass nicht allein die Priesterschaft das Legat (Vermächtnis) Christi verwaltet, sondern das gesamte Kirchenvolk.

Sehr früh in der Wittenberger Diskussion erscheint die in der 12. These aufgeworfene Forderung, Heiligenbilder aus den Kirchen zu entfernen und die Umzüge mit dem Sakrament zu beenden. Die Kritik an beidem bestand zwar schon länger; Luther erhob sie in verschiedenen Schriften,14Karlstadt selbst hatte in der Thesenreihe 24 Conclusiones de sanitate animae vom 19. Juli 1521 Gebete, Gesänge, Kirchenbesuch und Zeremonien der Verkündigung und dem Hören des Gotteswortes weit nachgestellt.15 Mit dieser Forderung erhält die vorliegende Thesenreihe eine besondere Spannung hinsichtlich der Angabe im Präskript, dass ihre Disputation in der Allerheiligenkirche stattgefunden habe. Dort wurden üblicherweise Lehrveranstaltungen der Universität abgehalten, dabei blieb diese Kirche der zentrale sakrale Kirchenraum in Wittenberg für Messen, Heiligenverehrung und die in der 12. These beanstandeten Umzüge. Indem sich der Angriff auf das alte Sakralsystem an einem seiner zentralen Orte ereignete, gewann die scharfe Kritik der Thesen zusätzliche Wucht.

In den folgenden Monaten bis zum Herbst des Jahres gewann die Überzeugung, die Umzüge mit päpstlichen Insignien abzuschaffen, an Kraft. Am 12. Oktober 1521 schrieben der Propst des Allerheiligenstifts, Justus Jonas, der Dekan Lorenz Schlamau und andere Mitglieder des Stiftskapitels an Kfst. Friedrich III. von Sachsen, dass das Allerheiligenfest mit Gesängen und Lesungen abgehalten werde, aber ohne Ablassverkündigung und Umzüge, auf denen die päpstliche Ablassbulle und Fahnen durch die Kirche getragen würden.16Kfst. Friedrich III. stimmte dem Vorschlag des Stiftskapitels am selben Tag zu: »Dan, sovil das zukunftig Fest und ablas aller gottes heiligen belangen tut. Weil ir under euch bedacht und beratschlagt, wie es domit sal gehalten werden, lassen wir unns dasselbig eurm anzaigen nach dermassen auch gefallen.«17


1Vgl. KGK 190.
6Zur Handschrift a vgl. KGK I.1, Nr. 58, S. 485–487; zur Handschrift b vgl. KGK I.1, Nr. 58, S. 489.
7Kolde, Disputationsthesen, 462 f., dem noch Simon, Messopfertheologie, 449 folgt, nach Liber Decanorum, 25. Dort zu dieser Promotion von Karlstadts Hand: »Dominus Magister Ioannes Kuelsamer pro baccalaureatu quem vocant sententiarium respondit […].« Augenscheinlich wurde von der klassischen Sentenzenprüfung Abstand genommen und die Promotionen beschleunigt, um der Nachfrage nach reformatorischen Predigern nachzukommen.
8Vgl. Liber Decanorum, 25: »D. Joannes Kuelsamer respondit et promotus est die Magdalene theologie formatus Baccalaurius.« Zu Külshaimer vgl. KGK 187 (Anmerkung).
9Barge, Karlstadt 1, 291 bezeichnet sie als »inhaltlich sehr bedeutungsvolle Thesenreihe«.
10Für Barge, Karlstadt 1, 291 ist hier »in einem Nebensatze […] schon jene folgenschwere Forderung ausgesprochen, deren Durchführung später Karlstadt die Bezeichnung des ›Bilderstürmers‹ eingetragen hat.« Angriffe gegen die Umzüge, wie sie Karlstadt in Rom erlebt hatte, durchziehen bereits seine Schrift Päpstliche Heiligkeit (KGK III, Nr. 167, S. 436, Z. 25–31; S. 440, Z. 15–24; S. 440, Z. 32–S. 441, Z. 11; S. 461, Z. 4–S. 462, Z. 12).
13Vgl. Browe, Entstehung, 399 f.; 402 f.; 410–412.
16ThHStA Weimar, EGA, Reg. O, Nr. 260, fol. 1r (Niederschrift des Universitätsnotars Nicolaus Sybeth): »Auch, gnedigster herre, haben wir, was mit dem fest und ablas Omnium Sanctorum [31. Oktober als Vorabend des 1. November] nuhkunfftig furzunehmen, unter uns in ein bedencken und Ratslag genommen. Wirdt von den, ßo der heiligen schrifft und des dings vorstendig, fur gut angesehen, das das berurt fest mit aller herlikeit, singen, leßen und allen ampten, wie bißher, zu halden sei, auch beichtvetere zu ordnen. aber ane [= ohne] bebstliche zceichen, Als do sindt Bullen tragen. weiße stebe zuhaben, fannen auszustecken und ablas zuvorkundigen.« Abgedruckt bei Müller, Wittenberger Bewegung, 24–26 Nr. 7.
17ThHStA Weimar, Reg. O, Nr. 260, fol. 2r, abgedruckt bei Müller, Wittenberger Bewegung, 30 f. Nr. 11. Vgl. Bubenheimer, Scandalum, 295–303; Bubenheimer, Aufruhr, 161–169; 182–187.

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