Nr. 77A = 156
Andreas Karlstadt an Georg Spalatin
Wittenberg, 1520, [1518], 18. April

Einleitung
Bearbeitet von Ulrich Bubenheimer und Alejandro Zorzin

1. Überlieferung

Editionen:

2. Inhalt und Entstehung

Karlstadt hat die am Beginn stehende Vorrede gelesen, an der ihm nichts missfalle; über Petrus Hispanus habe Spalatin nichts vermerkt. Auch jene, die scholastische Lehrinhalte unterrichten, dürsteten bald nach griechischen, bald nach hebräischen Lektoren. Karlstadt sei schließlich ein Mensch, der sowohl Speise als auch Gesundheit begehre. Zu Karlstadts Traktat erwarte er Spalatins Rat.

In der Erstedition dieses Briefes1, lautet die Datumsangabe »Dat. Wittemburgae, die 18. Aprilis, Anno Vigesimo M D.« In der der Zweitedition2 steht am Ende »[…] Anno Vigesimo M D. . .«. Die drei Punkte am Schluss der Angabe könnten darauf hinweisen, dass nachfolgend etwas stand, das nicht zu entziffern war.3 Angesichts von zwei weiteren Textänderungen4 wurde die Zweitedition offenbar überarbeitet.

Die Angabe des Datums mit einer Kombination von ausgeschriebenem Zahlwort und Zahlzeichen (»Vigesimo M D.«) ist ungewöhnlich. In Karlstadts Briefen kommt sie so nicht vor. Dieser Sachverhalt wirft die Frage auf, ob Olearius mit der Jahresangabe 1520 die Datierung im Autograph richtig entzifferte. Unter Berücksichtigung inhaltlicher Bezüge dieses Schreibens zu Briefen vom April 1518 scheint es geboten, als Datum MD[XVIII] zu konjizieren. Das dann überflüssige »Vigesimo«, wäre das Ergebnis eines von Olearius an dieser Stelle nicht richtig entzifferten Textes5, was bei einem beschädigten Original leichter passieren konnte als bei einem unbeschädigten.

Für die Vordatierung dieses Schreibens an Spalatin ist v. a. der Sinn des Brieftextes und die Bezüge zu anderen Briefen vom April 1518 entscheidend. Besonders die Anfangsaussage ist wichtig: »Ich las, […], die am Beginn stehende Vorrede, und da ist nichts, was (mir) missfallen könnte; über Petrus Hispanus, den man vielleicht unseren Wittenberger nennen könnte, hast Du nichts vermerkt.«6 Diese erwähnte praefatio principalis war von Spalatin geschrieben worden, denn darauf bezieht sich Karlstadts Monitum, Spalatin (»te«) habe keine Aussage zu Hispanus gemacht. Im Brief vom 19. April 1518 (KGK I.2, Nr. 78) hat Karlstadt die Aussage sinngemäß wiederholt: »Petrus Hispanus betreffend gab es nichts von Bedeutung, was bei mir Zweifel auslöste, außer dass ich sah, dass Du nichts von ihm geschrieben hattest. Wie sollte ich es wagen, von Deinem Urteil abzuweichen? Vom Wein werde ich wegen der Abreise des Fürsten schweigen.«7 Hier scheint ein Rückbezug auf diesen Brief vom 18. April [1518] vorzuliegen. Im Schreiben vom 19. April 1518 wird auch das Thema »Wein« angesprochen, wobei zu erkennen ist, dass es mit dem Kurfürsten in Verbindung stand. Dem davor länger erkrankten Karlstadt hatte der Kurfürst angeboten, außer den übersandten Pomeranzen, weitere für seine Genesung helfende Mittel zu schicken8; Wein wurde damals auch als Heilmittel geschätzt. Nachdem der Kurfürst abgereist ist9, verzichtet Karlstadt darauf, das Thema nochmal aufzugreifen.10 Auf seine Gesundheit, die in den Briefen vom April 1518 ein mehrfach angesprochenes Thema war, geht Karlstadt nebenbei auch im Brief vom 18. April [1518] ein: »Schließlich bin ich ein Mensch, der nicht verzichten kann auf Lebensunterhalt und Gesundheit.«11 Mit victus berührt Karlstadt sein im April 1518 ebenfalls aktuelles Bemühen um eine Verbesserung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse und seinen Wunsch, vom Chordienst im Allerheiligenstift freigestellt zu werden.12 Mit diesem Ziel hatte er eine Bittschrift (supplicatio) von Hörern seiner Augustinvorlesung an Spalatin weitergeleitet und wiederum diesen gebeten, ihm eine supplicatio an den Kurfürsten zu entwerfen.13Spalatin griff das auf und – wie sich aus einer Folge von Briefen im April 1518 ergibt – setzte es um, indem er die Eingabe zum Programm einer Studienreform weiterentwickelte. Darin ging es dann auch um die Frage von Vorlesungen über Logik bzw. Dialektik, für die Karlstadt damals, im Jahr 1518, das traditionelle Lehrbuch von Petrus Hispanus in Teilen (die textualia) noch beibehalten wollte.

Der in das Jahr 1518 umzudatierende Brief vom 18. April an Spalatin ist Teil einer Korrespondenz über diese Bittschrift. Dabei versuchte Karlstadt zunächst, Spalatin zu bewegen, die Verwendung von Petrus Hispanus als Textbuch festzuschreiben, während Spalatin das im Entwurf der supplicatio wegließ. Die im Brief vom 18. April [1518] erwähnte Praefatio principalis könnte eine von Spalatin entworfene Vorrede für die supplicatio gewesen sein, in der Karlstadt die von ihm gewünschte Erwähnung des Petrus Hispanus vermisste.

In dem von Olearius fehldatieren Brief erwähnt Karlstadt kurz ein weiteres Thema, dessen Hintergrund nicht ganz geklärt ist: »Über unseren [= Singular] Traktat erwarte ich Deinen Rat.«14Karlstadt arbeitete im April 1518 an den Apologeticae Conclusiones; außerdem plante er, eine Predigtpostille zu veröffentlichen.15 Für beides scheint der Begriff »Tractatus« nicht passend. Möglicherweise bezog er sich damit auf sein Anfang Februar 1518 Spalatin gegenüber erwähntes Vorhaben, eine Abhandlung über die Buße auszuarbeiten.16


3In seinem Nachdruck hat Gerdes, Scrinium, 1763, 335, die Textfassung vom Brief aus der Zweitedition von Olearius übernommen.
4(1) »[…] qui et Scholasticos trahunt […]« – anstelle von: »[…] qui et Scholasticas tangunt […]« (Olearius, Scrinium (1671), 68); (2) »[…] tractatus nostri, tuum consilium.« – anstelle von: »[…] tractatus nostri, tuum praestolor consilium.« (Olearius, Scrinium (1671), 69).
5In einem mit »anno« begonnenen Datum können unterschiedliche Formulierungen folgen: domini, virginei partus, restitutae salutis, salvationis usw.
7Vgl. KGK I.2, Nr. 78, S. 765, Z. 12–14.
8Vgl. KGK I.2, Nr. 71, S. 746, Z. 4–6.
9Zu Misericordias Domini (18. April 1518) war in Wittenberg Reliquienschaufest (was die Anwesenheit des Kurfürsten erklärt).
10Vgl. KGK I.2, Nr. 78, S. 765, Z. 14.
12Vgl. KGK I.2, Nr. 75, S. 755, Z. 13–15 und 19f.
13Vgl. KGK I.2, Nr. 75, Z. 3–5.
15Vgl. KGK I.2, Nr. 75, S. 755, Z. 12f.; Bubenheimer, Tauler, 7: »Am 11. April 1518 trug er sich, offenbar auf Anregung Georg Spalatins, mit dem Gedanken, eine Predigtpostille zu verfassen, die entweder eine begrenzte Anzahl an Predigten enthalten oder sogar das ganze Kirchenjahr berücksichtigen sollte.«
16Vgl. KGK I.2, Nr. 69, S. 739, Z. 3–5.

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