Nr. 144
Andreas Karlstadt an Georg Spalatin
Wittenberg, 1520, 5. Januar

Einleitung
Bearbeitet von Alejandro Zorzin

1. Überlieferung

Editionen:

Literatur:

2. Inhalt und Entstehung

Karlstadt schickt Spalatin die »ebenso lächerliche Entgegnung auf eine lächerliche Spitzfindigkeit«, die er seiner Lektüre nicht für würdig hielt. Damit will er ihm die Lauterkeit seines Herzens anzeigen. Ein Antwortschreiben Spalatins an den Drucker interpretierten einige als Anweisung, zukünftig nicht für Karlstadt zu drucken. Er schließe sich diesem Eindruck nicht an, da er nicht glaube, dass Spalatin ihn an einer Verteidigung hindern wolle.

Karlstadts ursprüngliche Datierung dieses Briefes in die ersten Tage des Jahres 1519 wirft Fragen hinsichtlich des historischen Kontextes auf. Ende 1518/Anfang 1519 arbeitete Karlstadt an der Epitome (KGK II, Nr. 103) und an der letzten Lieferung vom 1. Teil seines Augustinkommentars (KGK I.2, Nr. 64). Beide Schriften lagen Ende Januar 1519 gedruckt vor. Karlstadts Bezeichnung einer zu jenem Zeitpunkt von ihm verfassten Schrift als »ebenso lächerliche Entgegnung einer lächerlichen Spitzfindigkeit«, die er Spalatin mit Verzögerung erst zum Jahresanfang 1519 zuschickt, passt zu keinem seiner Publikationsvorhaben der Jahreswende 1518/1519.1

Im Nachspiel zur Leipziger Disputation (vgl. KGK II, Nr. 131) verfasste Karlstadt eine Epistola gegen Eck (KGK II, Nr. 140), deren Titel die Behauptung seines Gegners (»ein gutes Werk sei ganz, aber nicht gänzlich von Gott«) als »unpassende und lächerliche Erfindung« bloßstellt.2 Eck hatte Karlstadts Epistola erst Mitte November 1519 erhalten3 und reagierte darauf mit einer am 3. Dezember 1519 datierten Gegenschrift.4 Diese gelangte erst Anfang Februar 1520 in Karlstadts Hände.5

Zur Jahreswende 1519/1520 arbeitete Karlstadt an einer zweiten gegen Eck gerichteten Publikation: den Verba Dei (KGK 146). Deren Druck weist am Textende die Jahreszahl 1519 auf, während auf dem Titelblatt das Jahr 1520 steht. Mit einem am 23. Februar 1520 datierten Brief (KGK 149) schickte Karlstadt ein Exemplar der Verba Dei an Spalatin. Mit seinem auf den 5. Januar datierten Brief wird er Spalatin ein Exemplar der Anfang November 1519 veröffentlichten Epistola (KGK II, Nr. 140) geschickt haben. Vielleicht sandte Karlstadt erst jetzt ein »Autoren«-Exemplar an Spalatin, weil er beim Versuch, die Verba Dei (KGK 146) drucken zu lassen, von Spalatins zensierenden Weisungen an den Drucker [Melchior Lotter d. J.?] erfuhr.

Die sich verschärfende literarische Auseinandersetzung Karlstadts mit Eck nach der Leipziger Disputation6 bietet den eigentlichen Kontext zum Inhalt dieses Briefes vom 5. Januar an Spalatin; folglich ist dieses Schreiben in den Januar 1520 umzudatieren. Die in der Briefnachschrift erwähnte Zensuranweisung Spalatins an den Drucker macht erst für die Zeit nach der Leipziger Disputation Sinn. Zur Jahreswende 1519/1520 war der kursächsische Hof bemüht, die eskalierenden Konflikte der Wittenberger mit verschiedenen altkirchlichen Kräften (Eck, den Leipziger Theologen und dem Meißener Bischof) einzudämmen.


1Vgl. Jäger, Carlstadt, 61: »Endlich vermuthe ich, daß der bei Gerdes. Carolst. epp. ad Spal. vom 5. Jan. 1519 datirte kurze Brief auf den 5. Jan. 1520 fällt […]«.
2Der Titel von KGK II, Nr. 140 richtet sich »adversus ineptam et ridiculam inventionem […] Eckii […].«
3Eck hätte sie sonst wohl schon in seinem Schreiben vom 8. November 1519 an Kfst. Friedrich III. (VD 16 L 6831; Walch2 15, 1308–1331, Nr. 419) erwähnt; vgl. Zorzin, Flugschriftenautor, [303f.], Anm. 12.
5Vgl. Karlstadts Widmungsvorrede an Otto Beckmann: »[…] eius [= Eck] epistolam defensivam, quam, […] nuper emisit, et mihi ex itinere postridie Blasii [= 4. Februar] redeunti, quidam tradidit […]« (KGK 150 (Textstelle)).
6Der Streit zog sich mit einer weiteren Publikation, der Confutatio (KGK 150), noch bis in den März des Jahres 1520 hin.

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