1. Überlieferung
Handschrift:
Ausfertigung von Schreiberhand
Der gesiegelte Brief ist nicht von Karlstadt, sondern einschließlich der Unterschrift von einem unbekannten Schreiber geschrieben worden. Diesem dürfte Karlstadts Konzept vorgelegen haben. Auf fol. 69r und fol. 70v ist mit 19. April 1517 das Datum korrekt aufgelöst. Auf fol. 70v findet sich eine nicht entzifferte ältere Archivsignatur.
Literatur:
- Barge, Karlstadt 1, 63 Anm. 85.
- Wähler, Orlamünde, 47–49.
- Bünger/Wentz, Brandenburg, 91.
2. Inhalt und Entstehung
Nachdem die Umsetzung der kurfürstlichen Anweisung an Karlstadt nach abermaligem Reskript (KGK 056) wiederum im Verantwortungsbereich des Kapitels lag, setzte Karlstadt am 19. April 1517 abermals ein Schreiben an dieses auf. Er bittet es darum, sein Anliegen weiterhin dem Herzog gegenüber zu vertreten. Er hebt die jüngere und ältere Besetzungspraxis hervor. Ausführlich referiert er die Inkorporationszusammenhänge und betont, dass er das Archidiakonat nach seiner alten Rechtsverfassung übernommen habe. Zusätzlich zu den rechtlichen Implikationen berührt er den Aspekt eines persönlichen Verdienstes seiner akademischen Karriere in Wittenberg; in diesem Zusammenhang lässt er auch die angefallenen Promotionsgebühren nicht unerwähnt. Karlstadts Bitte an das Kapitel gilt einerseits einer Bewahrung der alten Rechte. Andererseits möge das Kapitel nochmals Karlstadts Ansprüche gegenüber dem Kurfürsten vertreten.
Am 29. April 1517 trug er sein Anliegen zunächst mündlich dem Kapitel vor, bevor er diesem sein Schreiben übergab. Dies geht aus
einem Brief des Kapitels an den Kurfürsten vom 2. Mai 1517 hervor. Das Dokument berührt die Statutenrevision im
Ganzen und geht eingangs auf Karlstadt und die betreffenden Passagen der Statuten ein. Es benennt als Datum
der Kapitelversammlung den Mittwoch »noch zceigung des heilthumbs«1. Der Bericht des Kapitels zu dem Austausch mit Karlstadt gibt zu erkennen, dass
sich die Pfründeninhaber von Lehen mit inkorporierten Pfarreien der Position Karlstadts uneingeschränkt
anschlossen:
Zu den Befürwortern der von Karlstadt vertretenen Position gehörte der zeitgleich um seine Jurisdiktion am
Allerheiligenstift kämpfende Propst Hennig Göde. Dieser wurde vom Kurfürsten am 6. Mai 1517 auf seinen neuerlichen Einsatz für Karlstadt
angesprochen, wobei Erinnerungen an die Umstände der Romreise und eine damals gütliche Vermittlung durch den
Kurfürsten anklingen: »So wist ir auch. welcher
gestalt ir hievor doctor Karlstat widerwertig gewest und ir denselben uf unser furbit wider angenomen/ dem
ir euch nu uns zu wider anhongig macht«3. Göde wies am 16. Mai 1517 zurück, »Das ich mich auch Doctor
Karlstaten dem ich vormals widerwertig gewesn. von ersten E'wer'
churf'urstlichen'
g'naden' zcu widder anhengig gemacht«4, unter
Hinweis auf seine persönliche und amtliche Integrität:
Gegenüber dem Kapitel wählte der Kurfürst einen vergleichbaren Kurs, indem er es am 5. Mai 1517 an dessen
Konflikte mit Karlstadt aus den Vorjahren erinnerte.6 Abermals
verwahrte sich der Kurfürst gegen den erhobenen
Rechtsanspruch und nahm das Kapitel in die
Verantwortung, Karlstadt anzuweisen, zugunsten einer Vermeidung anderweitiger Konsequenzen von seinem Anliegen
abzusehen.
Am 13. Mai 1517 trat das Kapitel in Wittenberg zusammen und nahm die Statuten in der letzten kurfürstlich überarbeiteten Textfassung an. Unter Beiziehung des Universitätsnotars Nikolaus Sybeth ließ es jedoch Vorbehalte notariell beglaubigen.10 Nach der Jurisdiktionsgewalt am Allerheiligenstift, für die ein Erhalt der alten Strukturen erreicht werden sollte11, folgte in dem Notariatsinstrument an zweiter Stelle das Präsentationsrecht, das der Kurfürst in der abschließenden Fassung nun generell für alle direkt oder indirekt dem Stift inkorporierten Pfarreien in Anspruch nahm. »Probst Archidiacon und Scholasticus«12, also Göde, Karlstadt und Matthäus Beskau13, unterwarfen sich nun zwar dem von der bisherigen Praxis abweichenden Machtspruch des Kurfürsten, machten aber in Form einer öffentlichen »Protestacion«14 den Vorbehalt, dass sie als bisherige Inhaber des Präsentationsrechts nun wenigstens das zuvor von der Universität ausgeübte Nominationsrecht für sich beanspruchen.15 Auch die anderen Stiftsherren wollten sich jenem Vorbehalt durch Annahme der Statuten nicht in den Weg stellen: »Auch dovon die anderen das sie inen disfahls durch diße annehmung des statuts nicht preiudiciren wollen/ offentlich protestirt haben«.16
Am 16. Mai, an dem Tag, an dem sich auch der Propst an den Kurfürsten wandte, schrieb das Kapitel an den Landesherren.17 Zur Präsentationsfrage heißt es:
Die weitere Korrespondenz zwischen dem Kurfürst und dem Kapitel zur Statutenrevision beschränkt sich auf drei Schreiben, die der Übersendung der rechtlich relevanten Texte vom 13. Mai 1517 gelten.20 Wie schon Barge vermutete21, ist davon auszugehen, dass der Kurfürst Karlstadts Verhalten in jenem Punkt tolerierte.