Nr. 54
Andreas Karlstadt an Kurfürst Friedrich III. von Sachsen
Wittenberg, 1517, 31. März

Einleitung
Bearbeitet von Ulrich Bubenheimer und Martin Keßler

1. Überlieferung

Handschrift:

ThHStA Weimar, EGA, Reg. O 209, fol. 51r–52v (gestempelte Zählung)

Autograph.

Der Brief ist flüchtig geschrieben und weist mehrere Korrekturen auf. Karlstadt entschuldigt sich damit, dass er den Brief eilig schreiben musste, da ihm dafür nur eine halbe Stunde zur Verfügung gestanden habe.

Der Brief war versiegelt. Da Karlstadt die Adresse nach dem Verschließen des Briefs teilweise auf das Siegelpapier geschrieben hatte, wurde die Adresse beim Öffnen des Briefs durchgeschnitten. Das Siegelpapier befindet sich bei fol. 52v.

Literatur:

2. Inhalt und Entstehung

Karlstadt antwortet mit vorliegendem Brief auf zwei Schreiben des Kurfürsten. Zunächst geht er auf ein anzunehmendes Schreiben ein, in dem Hieronymus Schurff und ihm der Auftrag erteilt wurde, ein »Ansuchen« derer von Thümen, eines brandenburgischen Adelsgeschlechts, zu bearbeiten (Friedrich III. an Hieronymus Schurff und Karlstadt, KGK 053). Karlstadt weist den Auftrag mit Dank zurück. Es zieme sich, dass er diese Angelegenheit dem sachkundigeren Schurff überlasse. Ferner bedankt er sich für die ihm während der voraufgegangenen Pestzeit im Schloss eingeräumte Wohnung. Er verzichtet nun auf diese, da er in der Nähe der (Schloss-)Kirche eine Wohnung gemietet habe.1

Sodann antwortet Karlstadt auf das die Uhlstädt-Affäre betreffende Reskript des Kurfürsten vom 8. März (KGK 051). Aus seiner Sicht schildert Karlstadt nochmals den Verlauf der Ereignisse und des bisherigen Austausches mit dem Kurfürsten. So habe es für ihn zum Zeitpunkt seiner Präsentation des Pfarrers keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Vakanz am kurfürstlichen Hof bekannt gewesen sei. Dass der Kurfürst das Präsentationsrecht schon eher bei dem Orlamünder Pfarrer und nicht dem Wittenberger Lehnsherrn sehe, möchte Karlstadt gerne zugestehen. Von seinem früheren Rechtsstandpunkt, den er »ym Latin« ausgearbeitet habe (KGK 052, Gutachten Karlstadts an das Allerheiligenstift vom 16. 3. 1517), ist Karlstadt nach wie vor überzeugt. Er erbittet juristische Belehrung, falls seine Ausführungen nicht zuträfen. Faktisch fordert er damit eine Prüfung seines am selben Tag vom Kapitel an den Kurfürsten weitergeleiteten juristischen Gutachtens zu der umstrittenen Angelegenheit vom 16. März (KGK 052).

Die Weiterleitung von Karlstadts Brief und Gutachten vom 16. März war von einem Brief des Kapitels an den Kurfürsten vom 31. März begleitet. Gleichzeitig ging vorliegender Brief Karlstadts an den Kurfürsten ab. Das Kapitel führte in seinem Brief, Karlstadt unterstützend, zu den Vorgängen Folgendes aus: »Euer Churf'urstlichen' g'naden' beger und meynung/ haben wir dem hochgelerten Eren Andres Carolstadt doctor unßerm Archidiacon/ undertheniglichen erkennen geben/ der uns darauff diße hirinne vorslossen unterrichtung/ an ewer Churf'urstliche' g'naden' gelangen zu lassen/ ubirgeben Und ist auff sein ersuchen unßer underthenig demutig bete Euer Churf'urstlich' g'nad' wolle inen und sein pfarr Orlamunde bei altenn herkommen freiheiten bleiben lassen/ dan es were zubesorgen/ das die/ und andere eingeleibte Pfarren/ wo inen soliche freiheite enthzcogen/ do durch vast geringert wurden Wir haben auch das Statut anders nit vornummen/ dan das der selben Pfarren Prelat dy nomination/ an ewer Churf'urstliche' g'naden' allein haben solt/ Euer Churf'urstliche' g'naden' wir die des interesse haben auch demutigs vleises undertheniglichen bitten Eu'er' Churf'urstliche' g'nad' wolle uns der Pfarre halben alhy/ zu Wittenbergk bei alter unßer gerechtikeit gnediglich bleiben lassen/ In ansehung das es uns/ ßo man den pfarner dem Bischoffe zu Brandenburgk hinfurt Presentiren wurdt/ Ein neue einfurung/ die bisher nicht gewest brechte/ Wollen aber nit derweniger trachten die pfar nach bequemikeit zubesorgen/ und konnen die einem/ ßo wir bei im vleis und nutz spuren wol ad vitam lociren/ das dan an abbruch der Pfarkirchen exemption und unßer freiheiten Auch wollen wir nue trachten (die weil der Erwirdig unßer herre Probst widerkommen und List) die statut zuvolzcihen.«2

Deutlich wird abermals, dass das Kapitel Karlstadts Anliegen mit dem eigenen Wunsch verband, alte Rechte im Zuge der Statutenrevision zu erhalten. Ausdrücklich schloss sich das Kapitel Karlstadts Gesuch an, die überkommene Präsentationspraxis beibehalten zu dürfen.


1Barge, Karlstadt 1, 62DigitalisatLinksymbol interpretierte den Passus dahingehend, dass Karlstadt das betreffende Angebot des Kurfürsten ausgeschlagen habe. Anhaltspunkt dürfte für ihn der anschließende Hinweis auf die neue Wohnung gewesen sein, die Karlstadt gemietet habe. Die damit vorauszusetzende Aufgabe einer anderen Unterkunft, der Wortlaut von Karlstadts Formulierung und die Chronologie der Wittenberger Pest sprechen jedoch nicht gegen, sondern für die Annahme, dass Karlstadt das kurfürstliche Angebot angenommen hatte. Die chronologische Entwicklung der Epidemie läßt sich gut an Luthers Briefwechsel ablesen. Demnach hatte die Pest Magdeburg am 25. September 1516 erreicht; s. hierfür WA.B 1, Nr. 22, 58,66–68. Am 8. Oktober 1516 befahl StaupitzLuther die Flucht »aus dem verseuchten Wittenberg«; WA.B 1, Nr. 28, 74 Anm. 17. Am 25. Oktober erklärte Luther, nur auf mehrfachen Befehl des Kurfürsten fliehen zu wollen; WA.B 1, Nr. 28, 73,34–37. Karlstadts Hinweis auf seinen Umzug in eine Wohnung neben der Kirche liegt somit ein halbes Jahr, nachdem die Pest Wittenberg erreicht hatte. Der Umzug in die ungeschütztere Innenstadt lag damit am Ende, nicht am Anfang der Pestepidemie.
2ThHStA Weimar, EGA, Reg. O 209, 55v, 55r (gestempelte Zählung); für das Zitat s. 55r. Das Schreiben wird erwähnt bei Barge, Karlstadt 1, 61 mit Anm. 78DigitalisatLinksymbol. Der Propst war an der Abfassung des Schreibens nicht beteiligt. Das Schreiben ist unterzeichnet von Dekan, Senior und Kapitel.

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