1. Überlieferung
Frühdruck:
Andreas Bodenſteinius Carolſtatinus ‖ diuinaꝶ lr̃aꝶ door Sibuto.
in:
Sibutus, Georg
Friderici & Ioannis Illuſtri. Saxoniæ principū ‖ torniamenta per Georg: Sibitū: Poe: & Ora: ‖ Lau: heroica celebritate decantata. [HS]
Wittenberg: Johannes Rhau-Grunenberg, 1511, fol. A2r.
8°, 24 Bl., A2–E4.
Editionsvorlage:
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, H: P 306.4° Helmst. (8).Weitere Exemplare: BM London, 11408.c.48. — Stadtbibliothek Nürnberg, 5 an: Var. 9.
Bibliographische Nachweise:
- VD 16 S 6270.
- Proctor, German Prints, 160, Nr. 11830.
- Grossmann, Wittenberger Drucke, Nr. 72.
- Zorzin, Flugschriftenautor, Nr. 4.
Edition:
- Riederer, Versuch, 478f.
Es handelt sich um einen Vorlesungsdruck mit Interlinearspatien. Der Holzschnitt von Lucas Cranach auf dem Titelblatt stellt das kursächsische Wappen in einem Astwerkrahmen dar. Vgl. hierzu Koepplin/Falk, Cranach, 1, 220 Nr. 101. Auf fol. E4v findet sich ein Holzschnitt ebenfalls von Cranach, der den Dichter Sibutus wiedergibtDigitalisat.
2. Inhalt und Entstehung
Das Gedicht Karlstadts ist ein Lob- und Widmungsgedicht auf den Poeten und Dozenten der Humaniora Georg Sibutus Daripinus.1 Es diente als eines von insgesamt neun Geleitgedichten für dessen Torniamenta, ein in 1020 Hexametern verfasstes Epos auf ein dreitägiges Turnier, das vom 14. bis 16. November 1508 in Wittenberg ausgetragen worden war.2Sibutus zeigt Wissenschaft und Waffenkunst im Wettstreit und überhöht Kurfürst Friedrich III. allegorisch als Apollo, der mit den Universitätslehrern auf einer Seite stehe, während sich Herzog Johann als Mars mit den Turnierrittern auf der anderen befinde. Das Epos endet mit einem Hymnus auf die siegreiche Wissenschaft und ihre Bedeutung für die Stadt Wittenberg. Vermutlich wurde es nicht öffentlich vorgetragen, sondern als Übungstext für eine Vorlesung verwendet.3 Die verspätete Veröffentlichung fiel in eine Zeit, in der sich Auseinandersetzungen von Studenten und anderen Universitätangehörigen mit Bürgern der Stadt häuften. Der Kurfürst hatte daher am 23. November 1511 ein Abkommen zwischen Rat und Universität anbefohlen.4 Die Hochschule wollte sich mit der Veröffentlichung des Epos das Wohlwollen des Herrschers sichern. Ausführlich fallen das Fürstenlob sowie die topischen Beschreibungen des ersten Banketts und einiger Turnierszenen aus.5 Nicht wiedergegeben ist der Inhalt der wichtigen Rede Christoph Scheurls auf das Allerheiligenstift, die auf dem Turnierfest gehalten wurde, stattdessen amüsiert sich Sibutus anekdotisch über den roten Kopf des Redners.6 Dagegen lobt das Epos neben dem Professor der Jurisprudenz Henning Göde vor allem Ulrich von Dinstedt, den die Universität vergeblich in das Amt des Propstes am Allerheiligenstift einzusetzen suchte.7 40 Verse des Gedichtes sind Lucas Cranachs Darstellung des offiziellen kursächsischen Wappens gewidmet, welches in Form eines Holzschnittes das Titelblatt des Druckes ziert.
Unter den Autoren der Widmungs- und Empfehlungsschreiben befinden sich die wichtigsten Figuren der artistischen und theologischen Fakultät der Universität Wittenberg. An erster Stelle stehen zwei Poeme Martin Polichs von Mellrichstadt, Gründungsrektor der Universität, Vizekanzler und ihr Reformator.8 Er läßt durch das Turnierepos Sibutus mit Vergil gleichziehen und sieht Phoebus nach Wittenberg an die Elbe transferiert – eine Allusion auf Sibutus’ Lobgedicht Silvula in Albiorim.9 Die Verse Polichs sind als einzige in größeren Lettern gesetzt. Die weiteren Gedichte folgen gemäß Fakultät – von der höchsten, theologischen, hinab zur niedrigsten, artistischen – und innerhalb dieser nach Senioritätsprinzip. Daher sind die Verse des Doktors der Theologie Karlstadt als nächste gesetzt, auf ihn folgen die Juristen Christian Beyer und Kilian Reuter,10 daraufhin der aus Zwickau stammende skotistische Philosoph und Mediziner Wolf[gang] Cyclops,11 der Grammatikdozent (und spätere Jurist) Otto Beckmann,12 der Poet Andreas Krapp,13 sowie der Baccalaureus artium Philipp Engelbrecht von Engen (Engentinus)14. Die Verbindungen der Widmenden waren an der überschaubaren frühneuzeitlichen Universität in Wittenberg sehr eng. Mit Sibutus und Reuter hatte Karlstadt bereits in Köln studiert und war 1505 nach Wittenberg gekommen.15
In seinem Gedicht thematisiert Karlstadt den Nachruhm des Gelehrten, der auf den Prinzipien von Leistung und Arbeit beruht. Religiöse Ehrfurcht und Redlichkeit führen bereits zur Unsterblichkeit, doch die Göttin der Wissenschaft, Minerva, schafft ewigen Ruhm für den gelehrten Mann mit Ingenium (»virum […] ingenuum«).16 Dieses Ingenium verweist auf die Begabung des humanistischen Poeten. Einem ähnlichen Kontext entstammt die Verherrlichung der Arbeit, die Grundlage jeder schöpferischen Leistung des Menschen sei. Ehre, Ruhm und Tugend entspringen der Arbeitsmühe. Wer sich ihr nicht widersetzt, den lockt die Belohnung des höchsten Gottes, der sich hinter der Chiffre Juppiter verbirgt.