Nr. 5
Lobgedicht Andreas Karlstadts auf Christoph Scheurl und Lucas Cranach
1509, [Dezember]

Text
Bearbeitet von Harald Bollbuck
BuchsymbolC5r

Ad prudentissimum D'ominum'Christoferum Scheur-
lum Noricum utriusquea Iuris Doctorem ac civi-
lis interpretem. Et ad Lucam Chronuchium
bPictorie artisb summo successu Magistrum ami-
cos amicissimos carmen Andree Bodenstenii.
Martem laus agitat celebrem. demulcet inertes
Gloria Et oblectat. laude virescit honos
Christoferus miranda refert. sed vera fatetur
Lucida quod Luce1 tam monumenta nitent
Cui. tribuunt quodcunque bonis pictoribus. ipse
Plinius. est Luce gloria tanta meo
Perspectiva caput effinxitque fovetque
nobilis ars qua sic pingere rite valet
Pictores viridi nostrum vestite corymbo
Chronachium patrii spemque decusque foci
Huic dabit Androgides palmam: AiacemqueTimantes2
Et Teopompe3 dabis quicquid honoris habes
Zeusida: Parrhasium:4 fabiumque5 hebetavit Apellem
Luce Chronachii captio luce vigens
Illius hinc Scheurlus probat et monumenta recenset:
Qua solet ad famam laude ciere viros
Cuius ab ore fluit sermo latiusque sagaxque
Qui detrectores Et reticendo ferit
Si tamen insulsus quateret furor oris habenas
verax invidulos6 contere fama tuos
Hos aliosque volens gelida succidere falce
Aspice: quot poenas Iuppiter ultor habet
Pierides7: quid agunt: Tycius:8 lycalias9Thamyrasque10
Aglaurosque stupens clausa labella gere11
»En taba laguch ela Schoͤtikach«
Illud est optimum proverbium Hebraicum excerptum ex prover-
biis Salomonis maxime nostre sententie quatrans.12

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1Wortspiel, das Cranachs Vornamen und das glänzende Licht seiner Bilder alludiert.
2Mit der Aufzählung der antiken Maler Androcydes, Timanthes, Zeuxis, Parrhasios und Apelles erweist Karlstadt dem Lobbrief Scheurls auf Cranach Reverenz, zeigt aber zugleich seine Eigenlektüre der antiken Quelle Plinius, indem er Timanthes dessen berühmtestes Bild, das den Streit des Ajax (Aias) mit Odysseus um die Waffen des Achilleus darstellt, Cranach überreichen läßt. Vgl. Plin. nat. 35,72. Über Timanthes auch Cic. Brut. 18. Ebenso gehörte Androcydes zu den berühmten Malern der Antike, vgl. Plin. nat. 35,64.
3Ob Karlstadt eine falsche Referenz zu einem von Plinius beschriebenen Gemälde des Eupompos herstellt, das den Sieger eines gymnastischen Agon mit Siegespalme zeigt (vgl. Plin. nat. 35,75), oder sich auf den Historiker Theopompos von Chios bezieht, der laut einer von Gell. 10,18,6 überlieferten Anekdote einen hymnischen Agon zu Ehren des verstorbenen Königs Mausollos gewann, ist nicht zu klären.
4Zeuxis und Parrhasios hatten sich Wettbewerbe geliefert, in denen sie sich gegenseitig mit ihrer naturrealistischen Malerei ausstachen – der eine, was Früchte betraf, der andere Raumausstattungen wie Vorhänge. Vgl. Plin. nat. 35,64–66. Diese Wettbewerbe schildert auch Scheurl, der jedoch kein Wort über Theopomp oder Eupompos verliert.
5Referenz nicht völlig zu klären. Vielleicht der römische Geschichtsschreiber Quintus Fabius Pictor (um 254–201), der 216 v. Chr. eine römische Gesandtschaft zum Apollonheiligtum in Delphi führte. Er verfasste eine erste römische Geschichtsdarstellung, die nach Jahren gegliederten Annales, noch in griechischer Sprache, die von Aeneas bis zum 2. Punischen Krieg führte. Vgl. Cornell, Fabius Pictor, 160–178.
6Unklassisch, im spätmittelalterlichen Latein aber gebräuchlich. Vgl. Sulpitius, Carmen (1516), v. 26. Siehe Henkel, Tischzucht, 164.
7Die Pieriden forderten die olympischen Musen zum Wettstreit und unterlagen ihnen. Sie wurden daraufhin in krächzende Vögel verwandelt. Ov. Met. 5,294–678.
8Vielleicht Bezug auf Publius Titius (gest. 43 v. Chr.), der seinen Kollegen im Volkstribunat Publius Servilius Casca absetzen ließ und bald darauf verstarb. Sein Tod wurde vom römischen Volk als göttliche Rache für die ungesetzliche Absetzung angesehen. Vgl. Appian. b. c. 4,7,27, Cassius Dio 46,49,1 und 47,2,1.
9Unbekannt. Wenn es sich um einen Druckfehler handelt, könnte Karlstadt Lycabas gemeint haben, der den Bogen des Athis vergeblich auf Perseus richtete und selbst getötet wurde. Ov. Met. 3,624.
10Thrakischer Dichter, der einen Wettstreit mit den Musen einging und mit seiner Niederlage nicht nur die Laute, sondern auch seine Augen verlor. Prop. 2,22,19; Ov. am. 3,7,62.
11Die neugierige Aglauros, Tochter des mythischen Königs Kekrops, wurde von Neid auf die Liebe Merkurs zu ihrer Schwester Herse gepeinigt und von dem Gott in Stein verwandelt. Vgl. Ov. Met. 2,708–832. Ein Bezug könnte zu den vv. 827–830 bestehen: »sic letalis hiems paulatim in pectora venit | vitalesque vias et respiramina clausit, | nec conata loqui est nec, si conata fuisset, | vocis habebat iter […].« Nach anderer Sage öffneten sie und ihre Schwestern Herse und Pandrosos trotz Verbotes aus Neugier eine ihnen von Athena übergebene verschlossene Kiste, in der sich der kleine Erechtheus befand. Sie wurden deshalb wahnsinnig und stürzten sich von der Akropolis. Vgl. Hyg. fab. 166.
12Karlstadt gibt an, ein hebräisches Sprichwort zu zitieren, das aus den Sprüchen Salomons exzerpiert sei. Allerdings findet sich dort nur eine sinngemäß ähnliche Stelle: Spr 10,19. Das Zitat entstammt den Sprüchen der Väter aus der Mishna, die zur traditionellen Lektüre am Sabbatnachmittag gehörten: Avot, 1,17 (Cod. Kaufmann): »אלא טוב לגוף מצאחי ולא החכמים בין גדלחי ימי כל שתיקה«. Vgl. Rüger, Karlstadt, 303. Bei der lateinischen Translitteration liegen Verwechslungen von Schluss-Pe mit Schluss-Kaph und von He mit Heth vor. Vgl. Bauch, Einführung, 146; Rüger, Karlstadt, 303. Das Zitat könnte ein weiterer Hinweis auf die Verwendung jüdischer Gebetbücher sein. Siehe KGK 002.

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