Nr. 240
Verschollen: Jörg Schenck an Andreas Karlstadt
[[Schleusingen], 1523, vor dem 20. April] (verschollen)

Einleitung
Bearbeitet von Harald Bollbuck

1. Referenz

Der auf den 20. April 1523 datierte Widmungsbrief der Schrift Was gesagt ist: Sich gelassen1 ist eine Reaktion auf ein verlorengegangenes Schreiben des Ratsherrn Jörg Schenck2 aus Schleusingen an Karlstadt.

2. Inhaltliche Hinweise

Auf Basis seiner Lektüre der Theologia deutsch und von ungenannten Schriften Karlstadts erkundigt sich Schenck nach Inhalt, Bedeutung, Erklärung und Herkunft der theologischen Begriffe »gelassen« und »Gelassenheit«.3 Die Frage, inwiefern Gelassenheit als höchste Tugend bezeichnet werden könne, bezieht sich unmittelbar auf Karlstadts Traktat Tugend Gelassenheit (KGK III, Nr. 166).4 Schenck möchte Aufklärung über die Spannung zwischen zwei Bitten im Vaterunser erhalten. Während sich der Gläubige mit der Aufforderung »Dein Wille geschehe« dem Willen Gottes völlig unterordnet und sich somit »gelässt« bzw. Eigeninteresse und Selbst aufgibt, erscheint Schenck die Bitte »Und führe uns nicht in Versuchung« geradezu als das Gegenteil, da der Gläubige hier eine Forderung an Gott stelle und den eigenen Willen bekunde.5 Möglicherweise bezieht sich Schenck damit auf Karlstadts Auslegung Wagen, wo die Bitte »Dein Wille geschehe« als biblischer Beleg für Gelassenheit gelesen wird.6

Für Karlstadt wurde diese Frage zum Anlass für die Schrift Was gesagt ist: Sich gelassen (KGK 241), die sich immer wieder in einen Dialog mit dem Fragesteller Schenck begibt.7 Ob Schenck noch eine zweite Anfrage stellte, die Karlstadt mit einem zweiten Werk beantworten wollte, kann nicht eindeutig geklärt werden.8


2Jörg Schenck, geboren in Coburg, wurde nahezu gleichzeitig mit Karlstadt im Wintersemester 1504/05 in Wittenberg immatrikuliert; vgl. AAV 1, 16. Er wurde später in Schleusingen (Gft. Henneberg) Ratsherr und ist dort 1525 als Bürgermeister bezeugt. Höchstwahrscheinlich beteiligt an der Abfassung der Schleusinger Beschwerdeartikel, weshalb er sein Bürgermeisteramt verlor und ausgewiesen wurde. Augenscheinlich hatte er auch Zeremonien und Gottesdienst in der Stadt verändert. S. Franz, Akten 1.2, 428; 566; 604f.; Bubenheimer, Karlstadtrezeption, 31f. Dass er der Theologie Karlstadts nahestand, beweist diese Anfrage sehr deutlich. In einem Brief an Gfn. Katharina von Henneberg-Schleusingen (1509–1567, nach Heirat Katharina von Schwarzburg) schreibt Schenck, dass er 1522/23 einen offenen Sendbrief verfasst habe, der sich mit dem Gegensatz von Fleisch und Geist befasste; vgl. Franz, Akten 1.2, 604 Anm. 4; Bubenheimer, Aspekte, 412. Auch dies kann ein Hinweis auf Karlstadtlektüre sein. Dabei mag er von der Auslegung Wagen beeinflusst gewesen sein, in der es heißt: »Mein fleisch streyt gegem geyst.« (KGK II, Nr. 124, S. 252, Z. 20).
3Vgl. KGK 241 (Textstelle). In der Theologia deutsch findet sich der Begriff »Gelassenheit« nicht, wohl aber wird »gelassen« verwendet. Vgl. Hasse, Tauler, 173; Zecherle, Rezeption, 138–140.
5Vgl. KGK 241 (Textstelle). Zur Beantwortung der Fragen vgl. KGK 241 (Anmerkung) und KGK 241 (Anmerkung).
6KGK II, Nr. 124, S. 249, Z. 14.–S. 250, Z. 8. Vgl. Bubenheimer, Aspekte, 410f.; Bubenheimer, Karlstadtrezeption, 32; Zecherle, Rezeption, 228. Im Flugblatt Wagen heißt es: »Dein wil der geschech.« und gegenüber auf der rechten Seite: »gelaß willen und dich.« (KGK II, Nr. 120, S. 188, Z. 6; S. 189, Z. 5).
7Neben dem Widmungsbrief und der direkten Ansprache im Rahmen der beiden von Schenck gestellten Fragen konstatiert Karlstadt dessen Lektüre einiger seiner Schriften (s.o. Anm.KGK 240 (Anmerkung), KGK 240 (Anmerkung) und KGK 240 (Anmerkung)) und redet ihn wiederholt als »lieber brůder« an. Hinsichtlich der komplexen Herausforderung, das irdische Leben als Tragen des Kreuzes zu verstehen und dauerhaft gegen die eigenen Begierden und das Selbst anzukämpfen, erwartet Karlstadt von Schenck weitere Fragen (KGK 241 (Textstelle)).
8Dieses Werk sollte sich mit der richtigen Entscheidung des Gläubigen zugunsten eines Bußweges zu Gott, aber auch mit den Folgen eines falschen Urteils und den Verkehrungen der göttlichen Segnungen in ihr Gegenteil befassen. Vgl. KGK 241 (Textstelle).

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