Nr. 60
Bedenken Andreas Karlstadts zu den jurisdiktionellen Zuständigkeiten und einer Besetzungsfrage am Wittenberger Allerheiligenstift
[Wittenberg], [zwischen 1516, 31. August und 1517, 18. Juni]

Text
Bearbeitet von Martin Keßler

Buchsymbol73r
Zwbedencken/ so die
personen1 des kleyn kohers
unser liben frawen/
irem Dechand und nicht
dem Dechandt des grossern
kohers gehorsam thun undt
mit iurisdiction unter-
thenig sein sollen/ was
endtsteen kunfftickglich magta〈.〉


Ich bewege das/ das ordenlich und gemei-
nen gerechten gemes ist/ das ver-
pindten und endtpindten/ excommu-
niceren und absolvirenb/ Erkannen
und urteilen/ gleich eyner person
geburett und werc eyneß mechtig
ist/ der hait das andere zethun
also haben gemein recht'en'〈.〉


Zwm andern/ das der obirste/ in den
kirchen uber keyn person oberkeit
gerichts zwanck und straff hat/d Sienota tamen casum quod delinquens ratione delicti posset conveniri si in ecclesiam delinqueret2
sey dan yme mit eygem willem
unterworffen und gethaneme gehörsam
oder gelubtnis gehorsam zw pflegen〈.〉

Buchsymbol73v
Dar auß volget/ die weil die personen
obgedachtes kohers/ dem grossern Dechandt
keyn gehorsam geloben/ und sich nicht
seyner iurisdiction untergeben/ das
itzt gedachter Dechandt/ gemelte per-
sonen weder pindten nachtf endpindten
kan〈.〉 halten die hern3 wu
sich der vhal begöb/ das sich die personen
zcanckten und verwunten oder frefe-
lich schlugen und in ban vervillen
Das sie nicht absolvirt werden megten〈.〉


Des Dechands4 bedencken
und anderng5


Zw gedencken/ das kein Sindicus alhie
ist/ und siben doctores sein sulden/ und
doch nicht mher dan sex/ ich zeich
die bulde Julii6 an〈.〉


Zw verschaffen/ das die presentz niemantz
geben werden solt/ dan der sie verdient/


aZ. 1–9 der Handschrift ist gegenüber dem folgenden Text um ca. 4 cm nach rechts eingerückt
be durch Tintenklecks verdeckt
cvom Editor verbessert für were
dAm linken Rand von Z. 17/18 der Handschrift findet sich ein Kreuzchen, das Karlstadt vor seiner zu dieser Stelle gehörigen Fußnote (s. KGK 060 (Anmerkung)) wiederholt hat
evom Editor verbessert für gethanern
fvermutlich verschrieben für nach
gText durch Einrückung als Zwischenüberschrift herausgehoben

1Die in der Einleitung benannte, zwischen 15 und 20 Personen variierende Anzahl von Angehörigen des Kleinen Chores umfasste in einer frühen, undatierten Aufstellung (s. dazu Bünger/Wentz, Brandenburg, 97f.) drei Vikare, einen Succentor, vier Chorschüler, vier ältere Chorknaben und zwei jüngere Chorknaben unter der Aufsicht des Dekans. Der Große Chor bewegte sich zwischen 32 und 46 Personen (s. dazu ebd., 97f.), womit Karlstadts Gutachten einem substantiellen Teil der Personals am Allerheiligenstift, zwischen 30 und 33%, galt.
2Der lateinische Text (»Beachte jedoch den Fall, dass der Delinquent im Hinblick auf das 〈begangene〉 Delikt beklagt werden könnte, wenn er sich gegen die Kirche vergehen sollte.«) ist von Karlstadt in Form einer Fußnote nachgetragen.
3Stiftsherren.
4Als Dekan des Großen Chores fungierte zwischen 1508 und 1523 Lorenz Schlamau.
5Die Zwischenüberschrift deutet an, dass die beiden folgenden Punkte auf eine Stellungnahme des Dekans, wahrscheinlich des Großen Chores, und weiterer Stiftsherren zurückgehen. Schon im Vorsatz berief sich Karlstadt auf rdie Stiftsherren.
6Die Formulierung, dass am Allerheiligenstift sieben Doktoren angestellt sein sollten, findet sich in der Bulle Julius’ II. nicht. Wohl aber werden die akademischen Pflichten der jeweiligen Amtsinhaber aufgeführt, aus denen sich ihrerseits bestimmte Qualifikationsprofile ergaben. Zu dem Wortlaut der päpstlichen Privilegien des Jahres 1507 s. Meisner, Jubilaeum, 48DigitalisatLinksymbol; für einen früheren Druck s. Barge, Karlstadt, 1, 35 Anm. 3DigitalisatLinksymbol. Für eine inhaltliche Zusammenfassung der betreffenden Ausführungen s. ebenfalls Barge, Karlstadt 1, 38DigitalisatLinksymbol; ein Regest des Gesamtdokuments bietet Israel, Universitätsarchiv, 66–68, Nr. 83.

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