Nr. 16
Kurfürst Friedrich III. von Sachsen an Andreas Karlstadt
Torgau, 1515, 23. Januar

Einleitung
Bearbeitet von Ulrich Bubenheimer und Martin Keßler

1. Überlieferung

Handschriften:

Kurfürst Friedrich an Karlstadt, 23. Januar 1515

ThHStA Weimar, EGA, Reg. O 359, fol. 5r-v leer

Kanzleikonzept von unbekannter Hand.

Beilage 1: Kapitel des Allerheiligenstifts an Kurfürst Friedrich, 21. Januar 1515

ThHStA Weimar, EGA, Reg. O 359, fol. 4r-v

Ausfertigung von unbekannter Hand.

Mit Siegel des Allerheiligenstifts. Dorsalvermerk: »Das Capittel zu Wittenberg Contra doctor Karlstadt/ So inn irem wieder inen gesprochenen urteil/ in irrigen sachen/ zwischen ime und dem Schoͤsser/ hinderstelligenn hauszinses halben/ wieder ire Privilegia gein Rohm app'ellirt'.«

Beilage 2: Kurfürst Friedrich an das Kapitel des Allerheiligenstifts, 23. Januar 1515

ThHStA Weimar, EGA, Reg. O 359, fol. 6r

Kanzleikonzept von unbekannter Hand. Das Stück ist von derselben Hand geschrieben wie das Schreiben des Kurfürsten an Karlstadt vom selben Tag.

Edition:
  • Müller, Staats-Cabinet, 316–318 Abdruck des Briefes an Karlstadt sowie Auszüge aus den hier als Beilagen edierten Aktenstücken.

Die kontroversen Umstände von Karlstadts Rom-Reise 1515/1516 sind seit der Edition der einschlägigen Materialien durch Johann Joachim Müller1 bekannt. 1714 veröffentlichte dieser seine aus Weimarer Aktenbeständen erhobene Rekonstruktion Von des Theologi Carlstadts Gelübde einer Wahlfart nach Rom2, die in einer chronologischen Anordnung die betreffenden Ereignisse schilderte. Teils transkribierte Müller die relevanten Archivalien, teils paraphrasierte er sie in knappen Einleitungsabschnitten. Im Ganzen verschränkte Müller die Veranlassung zur Rom-Reise mit juristischen Streitigkeiten, die Karlstadt mit dem Wittenberger Schosser Anton Niemeck auszutragen hatte. Vor dem Hintergrund dieser Vorgänge hinterfragte Müller Karlstadts Veranlassung zur Rom-Reise3 und interpretierte die dargelegten Zusammenhänge als Ausdruck von Karlstadts »Zancksucht«, verbunden mit »ingenio turbido et contumaci«4.

2. Inhalt und Entstehung

Das kurfürstliche Reskript wurde in Torgau am 23. Januar 1515 (»am dinstag nach sand vincentii tag«) aufgesetzt. Es vermerkt einleitend seinen reaktiven Charakter (»Uns gelangt an«). Als Bezugsdokument ist der Brief des Kapitels an den Kurfürsten vom 21. Januar 1515 zu identifizieren (KGK 016 (Textstelle), Beilage 1).5 Dieses Schreiben schildert knapp die vorgefallenen Ereignisse: Der Wittenberger Schosser habe Karlstadt vor dem Kapitel um einen jährlichen »hauszinß« verklagt. Das Kapitel habe nach Anhörung der Parteien auf Grundlage der Rechte und Stiftsstatuten ein Urteil gefällt, woraufhin Karlstadt »an Bebstliche Heilikeit sich beruffen« habe. Dieses Vorgehen betrachtet das Kapitel als »unbillich« und bittet um den Beistand des Kurfürsten, um weitere Mühe und Ausgaben zu vermeiden.

Der Kurfürst reagierte schnell. Zunächst wurde in Torgau am 23. Januar 1515 ein Schreiben aufgesetzt, das dem Kapitel Unterstützung zusicherte (KGK 016 (Textstelle), Beilage 2). Dann erst wurde wohl das Reskript an Karlstadt konzipiert. Dieses wurde in einer Kopie dem Schreiben an das Kapitel beigefügt, was sich in einem Nachtrag zu dem Reskript an das Kapitel andeutet (s. dazu die Einfügung am Rand: »wir haben dem doctor auch geschriben wie ir ab inligender copien vernemen werdt«).

Anlass und Verlauf des Rechtsstreites bis zu dessen Anzeige gegenüber dem Kurfürsten am 21. Januar werden von einem späteren Dokument erhellt, das in die Zeit nach Karlstadts Abreise nach Rom fällt. Es handelt sich um einen Bericht aus dem Kapitel, der die Umstände der Romreise beschreibt und auf die Vertretungsfrage in Karlstadts amtlichen Funktionen eingeht (s. KGK 024, Beilage). Diese hatte Karlstadt vor seinem Aufbruch nicht ausreichend geklärt, was zu einem weiteren Konflikt mit dem Kapitel führte. Der vom Kurfürsten angeforderte Bericht des Kapitels ist undatiert, muss aber vor dem 16. Januar 1516 geschrieben worden sein.6 An diesem Tag wurde das erste kurfürstliche Reskript an Karlstadt datiert, das auf die Mitteilungen des Kapitels reagierte, indem die Rückkehr nach Wittenberg angeordnet wurde (KGK 024). Jener Bericht aus dem Kapitel ist das inhaltlich einschlägige Dokument, das aus Perspektive des Kapitels eine Verbindung zwischen Karlstadts Rechtsstreitigkeiten mit dem Schosser und der Abreise nach Rom im Sinne einer konstruierten Ausflucht herstellt. Demnach hatte der Schosser Karlstadt »vor probst und capittel« um 12 Gulden ausstehender Mietzinsforderungen verklagt. Karlstadt erklärte im Gegenzug, dem Schosser ein auf drei Gulden zu taxierendes Fuder Heu7 verkauft zu haben, gestand die ausstehenden Forderungen als solche jedoch zu. Das Kapitel entschied, dass beide Forderungen miteinander zu verrechnen seien und setzte den Wert des verkauften Heus jedoch um einen halben Gulden auf zweieinhalb Gulden herab.8 Eine naheliegende Interpretation ist, dass das Kapitel damit ein Anliegen des Klägers aufgenommen hatte. Karlstadt hat nach der Entscheidung des Kapitels an den Papst appelliert. Der Anspruch auf eine direkte Jurisdiktion des Papsts über Angelegenheiten des Allerheiligenstifts wurde spätestens 1346 fixiert9. Zu Karlstadts Appellation berichtet das Kapitel: »Nachdem aber der spruch auff beider teil bekenntnis gegangen/ haben wir ime abschlegig aposteln gegeben/ und bey dem gehorsam geboten den schosser lawts des urteils zuvorgenugen ader im gehorsam zcw bleiben«. Das Kapitel erteilte somit Karlstadt einen Apostelbrief, in dem die Berechtigung zur Appellation zurückgewiesen wurde.10 Nach dem Bericht des Kapitels war die Auseinandersetzung um die finanziellen Verbindlichkeiten nicht abschließend geklärt, als Karlstadt seine Romreise antrat. Das Datum des Aufbruchs ist nicht eindeutig zu bestimmen, liegt aber frühestens Mitte August 1515.11 Nach der Darstellung des Kapitels hatte Karlstadt bis dahin seinen »gehorsam« gegen den ergangenen Beschluss verweigert.

Die Fortdauer der Kontroverse über den Romaufenthalt hinaus führte in der Forschung zur Annahme, zwei undatierte Schreiben Karlstadts an den Kurfürsten, die auf die Rechtsstreitigkeit mit dem Schosser Bezug nehmen, in das Jahr 1516 zu datieren. Wie in den Einführungen zu den betreffenden Editionseinheiten dargelegt wird, ist diese Annahme in einem Fall begründet (KGK 018), während sie im anderen korrigiert werden muss (KGK 017). Trifft diese Einschätzung zu, begegnet in dem einschlägigen Dokument (KGK 017) das unmittelbare Antwortschreiben Karlstadts auf das kurfürstliche Reskript. In jedem Fall ergänzt und erweitert das Dokument die Ausführungen des Berichts aus dem Kapitel, der zu dem Umständen des Romreise angefordert wurde.

Das kurfürstliche Reskript an Karlstadt vom 23. Januar 1515 entsprach der Bitte des Kapitels. Positionell schloss sich der Kurfürst dem Kapitel an, indem er die Berechtigung der Appellation bestritt, Karlstadt an die erwiesenen Wohltaten erinnerte und eine Unterstützung des Kapitels für den Fall ankündigte, dass Karlstadt die Appellation nicht zurückzöge (»so ist unser Begere ir wellet nachmals davonn absteenn«).


1Zu ihm s. knapp Keßler, Karlstadt-Bild, 9 Anm. 20.
3S. dazu Müller, Staats-Cabinet, 318DigitalisatLinksymbol: »Bald hernach gab D. Carlstadt vor/ ob waere er vor fuenff Jahren auf einer Reiße unter die Moerder gefallen/ und habe in diesen seinen Noeten den Heil Aposteln/ Petro und Paulo, eine Wahl=Fart nach Rom gelobet/ welche er nun mehrer vollbringen wolte«.
4Für beide Zitate s. Müller, Staats-Cabinet, 341DigitalisatLinksymbol.
5Dieser als solcher unerwähnt bleibende Text ist als Grundlage der Ausführungen von Müller, Staats-Cabinet, 316DigitalisatLinksymbol zu identifizieren.
6Diese Datierung berührt sich mit der von Bubenheimer, Consonantia, 24f. Anm. 61, der als terminus post quem jedoch noch den 13. November 1515 annehmen möchte. Dazu sehe ich keine Veranlassung, da die Anfrage des Kurfürsten beim Kapitel zu den Umständen der Romreise auch unabhängig von dem Karlstadtschen Beschwerdeschreiben vom 13. November ergangen sein mag.
7In einer undatieren Auflistung der Einkünfte des Archidiakons wird jährlich ein Fuder Heu festgehalten; s. dazu Barge, Karlstadt 1, 44DigitalisatLinksymbol.
8Die Reduktion von Karlstadts Forderung wird erwähnt: »alzo das ime doran drittehalb gulden vor das haw abinge«; für die Auflösung in »zwei und ein halbes« s. DWb 2, 1423 DigitalisatLinksymbol und Demandt, Laterculus, 294. Zu diesem Verständnis s. bereits Barge, Karlstadt 1, 49DigitalisatLinksymbol.
9Bünger/Wentz, Brandenburg, 83: »Als Aussteller begegne[t] […] 1346 Papst Clemens VI. mit 3 Urkunden, in denen er das Stift der unmittelbaren Jurisdiktion des römischen Stuhles unterstellt, die Verhängung von Interdikten an die päpstliche Erlaubnis knüpft, falls nicht die Mitglieder des Kapitels selbst den zuständigen Instanzen Anlaß zu solchen Vorgehen böten, von einer Bestätigung des Kapitelleiters im Falle einstimmiger Wahl der Stiftsherren absieht und dem Herzog das Recht der Präsentation auf die Kanonikate einräumt.«
10Für eine Übersicht der sog. Apostel und deren Qualifizierung s. Martin, Theorie, 395DigitalisatLinksymbol, Art. Apostelbrief, in: 1, 195f., bzw. im zeitgenössischen Kontext Perneder, Proceß (1548), LXXXIIIIvDigitalisatLinksymbol. Zu dem ganzen Vorgang um die Appellation vgl. Bubenheimer, Consonantia, 12 Anm. 6 und 299 Anm. 92.
11S. dazu die noch am 13. August 1515 in Orlamünde von Karlstadt ausgefertigte Urkunde zum Wiesenzehnt KGK 021.

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