Nr. 234
Martin Luther, Andreas Karlstadt und weitere Universitätsdozenten an Kurfürst Friedrich III. von Sachsen
Wittenberg, 1522, 2. November

Text
Bearbeitet von Alejandro Zorzin

Buchsymbol fehlt Dem Durchleuchtichsten hochgeborn Fursten
und herren, Herren Friderichen Hertzogen
zů Sachssen, Des heilig〈e〉n Ro'mische'n Reichs Ertz-
marschalk und khurfursten Lanthg'ra'ffen
in Doringen und Margg'ra'ffen zů Meyssen,
unßerm gnedigsten herren〈.〉

Buchsymbol fehlt Durchleuchtigster Hochgebornner Furst und Herre
Eueren khurfurstlichen gnaden seind unßer vorpflichte
schuldige gehorßame dinste alzceit mit vleis zuvor〈.〉
Gnedigster herre, Eur k'ur'f'urstlich' g'naden' bitten wir undertheniglich
wissen Das der hochgelert 〈h〉er Henricus Stackman1
der ertzenei Licenciat uns unterricht, als dan auch
sunst uns glaůblichen vorkůmmen. Wie Doctor Stef-
fanus2 furhaben solle, sich in kurtz von dan zů wenden
und bei e'uer' k'ur'f'urstlich' g'naden' umb gnedigen urlaub zuͤerlangen
bemůhn, mit bit wir wolten an e'uer' k'ur'f'urstlich' g'naden' Inen, domit
er desselben Doctor Steffans lection in der ertzenei be-
kummen moge gonstlichen vorschreiben etc〈.〉 Die
weil dan bmelther Licenciat nuh ein etzlich Zceit
in der Ertzenei, fur sich selbs, auch fur bmelthen Doctor
Steffan in seinem abweßen, mit leßen sich alzo erzceigt
das er von den schůlern der selben facultet, nit einwenig
gepreißet und gelobt〈.〉 Auch bei den krancken sonderlichen
vleis gehabt und vorgewandt, sich ein langezceit alhy
erbarlich gehalden auch sůnst aůßerhalb berurther
facůltet wolgeleßen. Und vormůtlich (noch dema
ime von anderswo erliche und nutzbarliche condiciones
zůgestanden, die er ubirgeben und sonderliche zcůnegung
zů disser stadt und Universitet tregt.) das er bei uns
bleiben moͤcht〈.〉 Seind wir nith alleyn ime in disser
seiner bit zu wilfahren, sondern umb seiner lere ge-
schicklikeit und vleißes, der selben vor zůkummen, szo
viel uns moglich zů dienen, Und sein Vorsehung, y'e'h
ßo geren, als er selbs zůerfahren begirig〈.〉 Derhalben
an e'uer' k'ur'f'urstlich' g'naden' unßere underthenig demůtig bit E'uer' k'ur'f'urstlich' g'naden'
Buchsymbol fehlt gerugen ime solch lection, wo sie vaciren wurd
gnediglich unterlassen. Wirdt sonderzcweiffel
den schůlern zům nůtz, gemeyner Universitet
und der stadt in kranckheits noͤten zům trost
geraichen〈.〉 Das wollen wir umb e'uer' k'ur'f'urstlich' g'naden' mit
schuldigen vorpflichten gehorßamen dinstenn
alzceit bevlissen sein zuvordienen. Bitten des
ein gnedige trostliche antwort〈.〉 Datum Witten-
berg Sontag noch Omnium Sanctorum3 Anno etc.
xxij°〈.〉

E'uer' K'ur'F'urstlich' G'naden'

underthenige diener

Martinus Luther

Rector4 subscripsit

Decano ecclesiae collegiatae

omnium sanctorum5 optime placet,

Andreas Carolostadius

Iohannes Doelsch Veltkirch,6

Thomas Eschauß7 astipu-
latur

Mattheus beskau8 scho'lasti'cus

Nicolaus Amsdorff9

Stephanus Vuildius10

Philippus Melanchthon,

Otho Beckmann11,

Georgio Elnero12 optime placet, nam dig'nissim'us

hac condicione

Ioanni Boccenhemio13 idem placet.

Buchsymbol fehlt Bitten undertheniglichen, gnedigster herre, E'uer' K'ur'f'urstlich' g'naden'
wolle uns, umb diß unßer vleissigs bitten, y'e'h
mit ungnedigen willen nit vormercken, dan wir
achten es do fůr das es von nothen, das disse lection
widder bestelt werd, do mit in der selben facultet
zcwene leßere, wie dan nutzbarlich und frucht-
barlich jungst geordnet, der eine, ßo in practica
der ander aber in theorica leße, Wie dan e'uer' k'ur'f'urstlich' g'naden'
hoers vorstands sůnder zcweiffel wol ermessen
kunnen. Das etc. Datum ut supra.


Beilage: Einträge in das Dekanatsbuch der Theologischen Fakultät (1522/23, Wintersemester)

Buchsymbol fehlt receptusbfrater Nicolaus Coci14, visis a nobis literis sui gradus
baccalaureatus biblici, receptus est omnium consensu, in
N'ota' B'ene'matriculam et locum baccalaureorum die Mercurii
post diem Simonis et Iudae15 et dedit dimidium16
sui gradus〈.〉
b chuius nominem obliteravi, quoniam noluit integram
dare pecuniam.
c

F'rater'd Ioannes Westermannus17 Augustinianus die Veneris
post festum Simonis et Iude apostolorum18 respondit pro Licentia
et promotus est ilico ob dignitatem. eD'octor' feldkirchius praesedit
in nomine prepositi
〈.〉19
e

Eximius frater Gotschalkus Cropf20 Hervordianus, die 28 Novem-
bris respondit pro licencia, et statim promotus est. praesidente
Carolostadio〈.〉

F'rater' Nicolaus Coci21 Tanglimmensis dieg XVIII22 Novembris
praesidente D'omino' preposito, pro feltkirchio23, promotus
est sacrae theologiae formatus et sentenciarius〈.〉

Die iii Februarii24 sunt consecuti, quisque suum doctoratum, eximii
viri F'ratres' Ioannes Westermannus et Gotschalkus Crop,
duo doctoresAugustinen'ses' promotore Carolostadio. is tum palam
testabatur post hoc se ne ullum, in quemvis gradum sub-
verturum.
25

Notapecuniam pro reliquis magistris dedi duobus illis
praeposito26 et feltkirchio27, deindeh cum illis divisi pecuniam
vesperiantis28 et gallorum29, et ab hac idetraximus eti dedimus minorite30 x gl.

jEt ego testor hac mea manu, me in eodem actu affuisse Et
etiam has sacrilegas voces ex ore eius blasphemo audisse
(Sed quibus tunc palam reclamare non licuit)〈:〉 Ego prudens
facio impie, quod propter ii flor'enos' promoveo Et conten-
debat ex Matth 23.31 neminem esse vocandum patrem
aut Magistrum in terra, Sed unum esse Magistrum et
patrem in caelis etc. Ex quibus intelligitur, quo spiritu ceperit
suam Theologiam. Mart〈in〉 Luther

m'anu' propriaj32


adanach Streichung
b-bvon Karlstadt gestrichen
c-cmit feinerem Federstrich autograph hinzugefügt und ebenfalls gestrichen
dfolgt gestrichen W
e-emit feinerem Federstrich autograph hinzugefügt
fam Rand autograph eingefügt
gfolgt gestrichen XX
hfolgt unleserlich gestrichen
i-iüber der Zeile hinzugefügt
j-jeigenhändiger Eintrag Luthers mit Strichverbindung zum abschließenden Text Karlstadts

1Heinrich Stackmann (aus Fallersleben); immatr. WiSe 1504/05 in Leipzig; ab Mai 1512 in Wittenberg (AAV 1, 41); 1513 im Senat der Artistenfakultät; am 3. Juni 1521 zum Lizentiaten der Medizin promoviert. Daraufhin wurde er in den Senat der Wittenberger medizinischen Fakultät aufgenommen. Vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 334–341.
2Stephan Wild (um 1495–22.3.1550); immatr. SoSe 1518 in Wittenberg, Promotion zum Doktor der Medizin (28.1.1521); vgl. Müller, Wittenberger Bewegung, 353–358 und KGK IV, Nr. 207, S. 694 Anm. 47.
3Im Jahr 1522 fiel Allerheiligen auf Sonnabend, den 1. November.
5Lorenz Schlamau (gest. 11.2.1523); vgl. KGK I.1, Nr. 52, S. 451 Anm. 2; KGK IV, Nr. 207, S. 682 Anm. 25; Müller, Wittenberger Bewegung, 313–320 und Bünger/Wentz, Brandenburg, 117–119.
6Johannes Dölsch (um 1485–21.7.1523); vgl. MBW 11, 359; Müller, Wittenberger Bewegung, 131 f. und Kropatscheck, Dölsch.
7Thomas Eschaus (28.11.1491–1535/1536?); KGK II, Nr. 140, S. 552 Anm. 150; MBW 11, 418 f. und Müller, Wittenberger Bewegung, 276–279.
8Matthäus Beskau (gest. 8.2.1535); vgl. KGK I.2, Nr. 83, S. 783 Anm. 4; KGK IV, Nr. 207, S. 682 Anm. 26; MBW 11, 148.
9Nikolaus von Amsdorf (3.12.1483–14.5.1565); vgl. MBW 11, 67 f. und Bünger/Wentz, Brandenburg, 124 f.
11Otto Beckman (1476–4.5.1540); vgl. MBW 11, 67 f.
12Georg Elner (gest. 1543); vgl. MBW 11, 400 und Bünger/Wentz, Brandenburg, 134 f.
14Zum Augustinermönch Nikolaus Koch (Coci) aus Anklam vgl. KGK 234 (Anmerkung).
15Simonis et Judae = Dienstag, 28. Oktober 1522. Die Bakkalaureatsprüfung zur Aufnahme in die Matrikel fand am folgenden Tag, Mittwoch, den 29. Oktober 1522, statt.
16D. h. die Hälfte der eigentlich für seinen Grad fällige Gebühr.
18Donnerstag, der 30. Oktober 1522.
19Johannes Dölsch vertritt den abwesenden Propst Justus Jonas. Ein Hinweis dafür, dass Jonas zu dem Zeitpunkt, als am 2. und 3. November der Brief der Universität an den Kfst. zusammengestellt und unterzeichnet wurde, nicht in Wittenberg war.
20Zu Gottschalk Grop (Crop, Kropp) vgl. Bünger/Wentz, Brandenburg, 498 und KGK IV, Nr. 199, S. 434 Anm. 4.
22Dienstag, der 18. November (1522).
23Propst Justus Jonas vertritt Johannes Dölsch beim Vorsitz.
243. Februar 1523.
25Zur Entwicklung dieser Entscheidung vgl. KGK 234 (Anmerkung).
28Die bei den Vesperien, den am Nachmittag vor der Promotion stattfindenden Disputationen, Mitwirkenden. Vgl. KGK II, Nr. 106, S. 108 Anm. 7.
29Die Galli (»Streithähne«) waren zwei Dozenten, die in der Promotionsdisputation gegeneinander zu opponieren hatten (vgl. UUW 1, 35).
30In Räumlichkeiten des Wittenberger Franziskanerklosters fanden akademische Veranstaltungen statt. Es könnte sich um Zahlung an einen Franziskaner für dort abgehaltene Disputationen handeln.
31Vgl. Mt 23,8.
32»Und ich bezeuge mit dieser meiner Hand, dass ich bei jenem Vorfall anwesend war und aus seinem gottes-lästerlichen Mund noch folgende gottlosen Worte hörte (denen ich damals nicht öffentlich widersprechen durfte): ›Ich [= Bodenstein] handele wissend sündhaft, weil ich für 2 Gulden promoviere.‹ Und er behauptete nach Matthäus 23, niemand dürfe auf Erden Vater oder Meister (Magister) genannt werden, sondern es gebe nur einen Meister und Vater im Himmel usw. Daran sieht man, aus welchem Geist er seine Theologie geschöpft hat. Martin Luther mit eigener Hand«. Vgl. auch Barge, Karlstadt 2, 12; Sider, Karlstadt, 176 und Bubenheimer, Andreas Rudolff Bodenstein, 42.

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