1. Überlieferung
Handschrift:
18v (Ausfertigung; Text und Adresse von Schreiberhand, wohl vom Universitätsnotar Nikolaus Sybeth; alle Unterschriften eigenhändig, Karlstadts Unterschrift an vierter Stelle).
Der Ausfertigung samt Unterschriften auf fol. 15r–v folgt fol. 16r ein beigelegter Zettel. Die Briefadressierung auf fol. 18v wurde im Weimarer Konvolut nach der kfstl. Antwort eingeheftet und hat deshalb eine höhere Seitenzahl als die Briefinhaltsseiten. Unter der Briefadresse ein Dorsalvermerk von unbekannter Hand: »Licenciat Heinrich Stackmann ∣ in der Ertzney belangend«.
Editionen:
- Burkhardt, Luthers Briefwechsel, 50 f. (nach der Ausfertigung).
- Enders 4, 19–21 (nach Burkhardt).
- Walch2 21.1, 454 f. Nr. 545.
- WA.B 2, 610–612 Nr. 544 .
- 1, 494 f. Nr. 239.
Literatur:
- Barge, Karlstadt 2, 2 Anm. 5.
- WA.B 2, 610–615 Nr. 544, 545 u. 547.
Beilage: Einträge in das Dekanatsbuch der Theologischen Fakultät (1522/23, Wintersemester)
Handschrift:
Editionen:
- Liber Decanorum (Faks.), fol. 34v.
- Liber Decanorum, 27 f.
2. Entstehung und Inhalt
Die Petition einer Gruppe von Universitätsdozenten der Wittenberger Universität an den Kurfürsten ist datiert auf Sonntag nach dem Allerheiligenfest,1 den 2. November (Commemoratio animarum). Am Wittenberger Allerheiligenstift fand zwischen dem 31. Oktober und 3. November die alljährliche Feiertagszeit mit Reliquienausstellung statt.
Als terminus ante quem für den Empfang der Petition seitens des Kurfürsten steht der 5. November 1522 fest, an dem dieser den Vorschlag der Dozenten annahm und Heinrich Stackmann2 als Nachfolger für den ausscheidenden Stephan Wild3 bestätigte.4Luther – dessen Unterschrift an erster Stelle der Unterzeichnendenliste steht5 – und Melanchthon scheinen die zügige Abfassung dieses Gesuchs aktiv vorangetrieben zu haben.6 In der Unterschriftenliste fehlt die vom Propst des Allerheiligenstifts, Justus Jonas, der nachweislich von Wittenberg abwesend war,7 und die von Johannes Bugenhagen. Universitätsrektor war Johannes Schwertfeger8; Karlstadt war im Wintersemester 1522/23 Dekan der theologischen Fakultät.9
Die in der Beilage edierten fünf autographen Einträge von Karlstadts Hand aus dem Dekanatsbuch der Theologischen Fakultät Wittenberg10 im Zeitraum 29. Oktober 1522 bis 3. Februar 1523 gehören in die Zeit kurz vor und nach dem von der Dozentengruppe unterzeichneten Brief an den Kurfürsten. Es handelt sich: 1. um die Aufnahme des Nikolaus Coci11 in die Matrikel bei gleichzeitiger Promotion zum Baccalaureus biblicus am Mittwoch, den 29. Oktober 1522; 2. um die Lizentiatspromotion des Johannes Westermann12 am Donnerstag, den 30. Oktober 1522; 3. um die Lizentiatspromotion des Gottschalk Crop13 am Freitag, den 28. November 1522; 4. um den Nachtrag der Lizentiatspromotion des Nikolaus Coci am Dienstag, den 18. November 1522; 5. um die Promotionen von Johannes Westermann und Gottschalk Crop zu Doktoren der Theologie am Dienstag, den 3. Februar 1523.
Diese Einträge geben Einsicht in Karlstadts Verwendung des Dekanatsbuches als Dokument, in dem er Spannungen und Divergenzen festhält, die sich im akademischen Raum und innerhalb der Fakultät abzeichneten. Während die ersten Notizen – neben dem üblichen Promotionsablauf – Vertretungsfragen und eine Uneinigkeit über die Zahlung von Gebühren anzeigen, ist der fünfte Eintrag der letzte, der von Karlstadt im Dekanatsbuch überhaupt vorgenommen wurde. Er ist zugleich Ausdruck einer theologischen und intellektuellen Entwicklung, die die Verleihung und das Führen akademischer Grade in Frage stellt.14Karlstadt entschied sich, diese akademischen Riten nicht länger mitzutragen. Der erläuternde Kommentar Luthers zu Karlstadts Weigerung, fürderhin Promotionen vorzunehmen, gibt dessen in mündlicher Diskussion gegebene biblische Begründung der Entscheidung wieder und schließt sie als Blasphemie aus dem Wertekanon der Wittenberger Theologie aus. Der Eintrag fällt chronologisch zusammen mit der Sacharja-Vorlesung als seiner letzten akademischen Lehrtätigkeit15 und dem Verfassen der Schrift Von Mannigfaltigkeit des Willens Gottes als erster Arbeit, in der sich Karlstadt als Laientheologe inszeniert.16 Im Frühjahr 1523 schrieb Karlstadt den Traktat Was gesagt ist: Sich gelassen17 nieder, dessen längster Abschnitt »Hohe Schulen« überschrieben ist. Hier legt Karlstadt entscheidende Gründe gegen das Ehrprinzip der Promotionen und deren Gebührenzahlungen an Hochschulen nieder.