Nr. 115
Andreas Karlstadt an Georg Spalatin
[Wittenberg], 1519, vor 3. April

Einleitung
Bearbeitet von Alejandro Zorzin

1. Überlieferung

Editionen:

Literatur:

2. Inhalt und Entstehung

Spalatin wendet sich mit der Frage an Karlstadt, ob kirchliche Vorschriften in gleichem Maße verpflichtend sind wie Gebote Gottes. Unter Bezug auf biblische Stellen begründet Karlstadt seine Position, dass [1.] kein Gebot, das einem göttlichen Gebot entgegenstehe, verpflichte; und 2. eine Bestimmung der Kirche nicht zwingend sei, wenn bedeutendere [Pflichten] anstünden (wie die Gebote des Evangeliums). Darüber hinaus habe Karlstadt unlängst in einer Predigt reflektiert, dass ein Regelwerk, in dem eine der darin enthaltenen Vorschriften einem göttlichen Befehl widerspricht, zu vernichten sei. Zum Kernpunkt der Frage [Spalatins] unterstreicht Karlstadt, dass er niemals eine Vorschrift der Kirche einer göttlichen gleichstellen werde, da erstere von der übergeordneten [göttlichen] abhängig sei. So argumentiere auch Paulus und deswegen gehorchten wir, gemäß göttlicher Ordnung, jenen, die Gott untergeordnet sind. Dass Abhängiges weniger bindend ist, als das, wovon es abhängt, belegt Karlstadt biblisch und unter Rückgriff auf Augustin und Bernhard von Clairvaux. Er möchte jedoch nichts über Themen verkündigen, die erst noch diskutiert werden sollten; denn Cyprian stufe Gegner der Kirche als Heiden ein, während Augustin sage, dass sie nicht zu verachten wären. Spalatin solle prüfen, ob die von jenem Prediger angeführte Bibelstelle [Mt 18,17] dessen These stütze, und schlägt drei Schritte vor, das zu tun. »Diese Schulterknochen« habe Karlstadt dem Drucker untergeschoben. Spalatin möge Flüchtigkeit und Unfertigkeit entschuldigen. Karlstadt ist sich über die Wortwahl unsicher, mit der er Degenhart Pfeffinger danken soll; er will sich mit Spalatin darüber beraten.

Das Thema der Frage, mit der sich Spalatin an Karlstadt wandte1, hatte auch Luther kurz in seinem Unterricht auf etliche Artikel, die ihm von seinen Abgönnern aufgelegt […] werden behandelt.2 In seiner Antwort an Spalatin lässt Karlstadt durchblicken, dass dessen Anfrage durch die Predigt eines Dritten [zu Mt 18,15–18] angestoßen wurde3. Karlstadt erwähnt im Brief, dass Spalatin zum Thema demnächst auch etwas in seiner Auslegung der Wagen finden werde.4 Da Karlstadt die Auslegung mit einem auf den 3. April datierten Widmungsbrief (an Pfeffinger) versah, lässt sich dieser Brief kurz vor diesem Datum einordnen.


1Wahrscheinlich in schriftlicher Form.
2Vgl. darin: »Von Den Gepoten Der Heyligen Kirchen.« (WA 2, 71); veröffentlicht »vermutlich Ende Februar 1519« (WA 2, 66). Am 5. März schrieb Luther an Spalatin: »Bis monuisti, ut de fide et operibus, tum de obedientia Ecclesiae romanae in apologia mea vernacula mentionem facerem: credo me id fecisse, etsi edita est, antequam moneres.« (WA.B 1, 356,4–6, Nr. 159).
3Vielleicht als Reaktion auf Luthers Aussagen zum Thema im Unterricht? Da neben der angesprochenen Predigt eines Dritten auch Karlstadt schreibt, über das Thema gepredigt zu haben, könnte es sich um zeitlich naheliegende Predigten zum gleichen Bibeltext gehandelt haben. Als Evangelienperikope war Mt 18,15–22 für Dienstag (29. März 1519) nach dem 3. Sonntag in der Fasten (27. März 1519) vorgesehen (vgl. Pietsch, Ewangely, 66).
4Barge, Karlstadt 1, 143 Anm. 28: »[…] ein Hinweis auf das baldige Erscheinen der Erläuterungen zum ›Fuhrwagen‹ ergibt als Zeit der Abfassung Anfang April.«

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