1. Überlieferung
Edition:
- Hekel, Manipulus, 17–20; (eine Abschrift aus Hekel in der Forschungsbibliothek Gotha, Chart. B 187, fol. 241r-v; darin handschriftlicher Zusatz, fol. 241v: Ex Jo. Fr. Heckelii Fasciculo IX. p.).
Literatur:
- Barge, Karlstadt 1, 47f.
- Bubenheimer, Consonantia, 40, Anm. 116.
- Bubenheimer, Luther, 65 (Sp. 2).
Schon im Jahr 1683 plante Johann Friedrich Hekel (ca. 1640–1700)1, auf eigene Kosten Transkriptionen von 100 Briefhandschriften aus der Reformationszeit drucken zu lassen.2 Angeblich hatte er eine Sammlung von »über 1500 Epistolas Mscr. virorum illustrium im Original« zusammengetragen, von denen »noch kein einziger gedruckt« vorlag.3 Unter den Verfassern von »etliche[n] alte[n] Briefe[n], […] Carmina und Schriften« die Hekel»in Original bekommen« hatte, führte er damals auch den des »Andr'eae' Carolstadii« auf.4 Erst 1695 gelang es ihm, eine fünfzig Briefe enthaltende Teiledition (Manipulus primus) auf den Buchmarkt zu bringen.5 Im Vorwort stellte Hekel in Aussicht, insgesamt zwei »Briefzenturien« edieren zu wollen, aufgeteilt in vier Büchlein, die jeweils fünfzig Briefe enthalten würden, von denen dieses vorliegende den Anfang machte. Dazu kam es aber nicht, weil ihn »entweder der Mangel an Absatz6, oder sein bald hierauf erfolgter Tod« daran hinderten.7 Zu jenem Zeitpunkt war seine Sammlung auf etwa 2.000 Manuskripte angewachsen. In seiner Besprechung des Manipulus weist Ludwig Fr. Hesse bei drei Briefen Differenzen auf, die im Vergleich mit anderen Editionen deutlich werden. »Die Ungenauigkeiten, sinnenstellenden Fehler und falschen Lesarten, die man auch sonst hin und wieder in mehreren Hekels Sammlung einverleibten Briefen antrifft und von denen andere Abdrücke fern geblieben sind, mögen zum Theil von dem Mangel alter Schriftzüge kundiger und mit Auflösung der darin so häufigen Abkürzungen hinlänglich vertrauter Copisten herrühren, auf welche er sich in vielen Fällen zu verlassen genöthigt sah.«8 Untersuchungen von Otto Clemen (1902)9 zu HekelsManipulus (31 Briefe verschiedener Verfasser an Spalatin, zwischen 1512 und 1527) und Abschriften aus Hekels Sammlung (ca. 25 Briefe diverser Verfasser an Spalatin, zwischen 1521 und 1544)10 lassen erkennen, dass dieser, wie schon vor ihm Gottlieb Spizel11 und Johann G. Olearius12, an Teile von Spalatins Nachlass gekommen war.13Hekels Handschriftensammlung, aus der er Veit Ludwig Seckendorff14 (Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo seu de reformatione, 1688 u. 1692) und Christian Schlegel15 (Historia vitae Georgii Spalatini, 1693) Briefe zur Verfügung stellte16, gilt als verschollen. Allerdings konnte Otto Clemen festellen, dass gegen Ende des 18. Jahrhunderts Johann Friedrich Köhler auf mindestens zwei Autographen daraus Zugriff hatte.17
Dieser Brief an Georg Spalatin18 ist der erste von insgesamt 52 erhaltenen Schreiben Karlstadts an ihn. Der Beginn ihrer Beziehung geht auf die Zeit Ende 1511 zurück, als Spalatins zweiter Wittenberger Aufenthalt einsetzte.19 Der Kontakt wurde durch den damals kurz vor seinem Abschied aus Wittenberg stehenden Christoph Scheurl20 angebahnt. In einem Antwortbrief Scheurls (vom 9. November 1511)21 auf zwei an ihn gerichtete Briefe Spalatins ist auch kurz von Karlstadt die Rede. Spalatin scheint in einem der vorangegangenen Briefe eine Bemerkung zu Ausführungen Scheurls über Karlstadt gemacht zu haben.22 Dafür will sich Spalatin nachgehend bei Scheurl entschuldigen. Der antwortet ihm, dass es unter Freunden üblich sei, rücksichtsvoll und bescheiden Dinge anzumerken und es deshalb keiner Entschuldigung bedürfe. Scheurl empfiehlt Spalatin, die Freundschaft mit Karlstadt zu suchen.23 Dass sich Spalatins und Karlstadts Beziehung daraufhin festigte, legt ein Brief Scheurls vom 10. Mai 1512 an Karlstadt nahe, wo er ihm mitteilt, Neuigkeiten an Otto Beckmann geschrieben zu haben, die Karlstadt lesen und an Spalatin weitergeben solle (KGK 010). Dass schon während der Jahre 1512/1513 zwischen Karlstadt und Spalatin Briefe kursiert haben könnten, lässt sich nicht ausschließen.
2. Inhalt und Entstehung
Karlstadt schreibt, dass er den ihm von Spalatin zugesandten Ratschlag [Reuchlins24] zur Frage, ob Judenbücher zu verbrennen sind, längst hätte durchlesen und seine Antwort dazu hätte geben wollen. Aber die Vorlesungstätigkeiten (besonders die schwierige dafür zu bewältigende Stoffmenge bei Scotus25) und andere Dinge hätten ihn daran gehindert, Spalatins (und auch seinem eigenen Wunsch) nachzukommen. Sowohl die Verpflichtungen als auch die Zuneigung zu Spalatin hätten ihn gezwungen, den größten Teil des Buches bei Lampenlicht zu lesen. Spalatins Bitte, ihm mit Reuchlins Buch auch seine Meinung darüber zurückzusenden, fiele ihm leicht. Im Buch finde er nichts, was nicht großartig, nicht gelehrt sei; soweit er sehe, stehe nichts den heiligen Weissagungen entgegen, richte sich nichts wider die von der heiligen Römischen Kirche anerkannten heiligen Dekrete. Nichts wäre zu finden, das der Weisheit oder eines guten Mannes unwürdig sei. Sollte Reuchlin allgemeine Sätze aufgestellt haben, die in späterer Zeit durch kirchliche Entscheidung verworfen werden könnten, werde ihn seine öffentliche Bezeugung der Rechtgläubigkeit (»catholico protestatio«) dennoch retten und vor allem Vorwurf schützen. Was dem Heiligen Cyprian26 zum Heil geriet, dass er die bei Häretikern gegebene Taufe nicht als gültig anerkennen wollte, ist für alle Theologen eine Hilfe. Auch dürfe ein Gelehrter in noch zur Debatte stehenden Themen einem anderen Gelehrten widersprechen. Dennoch wäre Reuchlin durch Rechte so umschanzt und mit so bewundernswerter Gelehrsamkeit gewappnet, dass ihm fast niemand zu widersprechen wage. Karlstadt bedauert, dass Reuchlin, durch Missgunst bedrängt, seine für Rechtsstreitigkeiten geeigneten und notwendigen Mühen nicht zum Nutzen der studierenden Jugend aufwenden könne. Karlstadt bittet Spalatin, diese sehr verspätete Antwort nicht seiner Untätigkeit, sondern seinen vielen Tätigkeiten anzulasten.
Spalatins Kontakt zu Reuchlin belegt ein vor dem 13. August 1513 an den Pforzheimer gesandter Brief.27 In einem von Reuchlin am 31. August 1513 datierten Brief an Spalatin dankt er ihm dafür, dass er sich beim Kurfürsten für ihn eingesetzt habe und der ihm einen Trostbrief habe zukommen lassen.28 Als Dank für die Reuchlin von kürfürstlich-sächsischer Seite zugesagte Unterstützung in seinem Konflikt mit der Kölner theologischen Fakultät hatte Reuchlin am 13. August 1513 Kurfürst Friedrich von Sachsen die gedruckte Übersetzung einer Lebensbeschreibung Kaiser Konstantins des Großen aus dem Griechischen ins Lateinische gewidmet. Im abschließenden Gruß dieser Widmungsvorrede unterstellt Reuchlin seine Schriften dem Schiedsspruch des Kurfürsten und dem Urteil von dessen Wittenberger Universität.29 Das könnte für Spalatin ein Anlass gewesen sein, Dozenten der Wittenberger Universität um ihre Meinung zu Reuchlins Schriften gebeten zu haben.30 Etwa um die selbe Zeit (wohl Ende 1513), in der Spalatin Karlstadt um Lektüre und Stellungnahme zum AugenspiegelReuchlins bat, richtete Spalatin (über Johann Lang31) dieselbe Bitte auch an Luther, der ihm einen (undatierten) Antwortbrief zukommen ließ.32