Vorwort zur Kritischen Karlstadt-Gesamtausgabe (KGK), Teil VII

Mit diesem Band erreicht die Karlstadtedition jenen historischen Zusammenhang, in dem Karlstadts Publizistik ihre größte Aufmerksamkeit und umfassendste Wirkung zeitigte. Seine Abendmahlsschriften, die seit dem Frühherbst 1524 von Basel aus »wie ein Stoßtrupp« (uno velut agmine, WA.B 3, 382,17) in die reformatorische Öffentlichkeit hineinstießen, lösten den innerreformatorischen Abendmahlsstreit aus, der schließlich in einen Dissoziationsprozess einmündete, in dessen Folge die reformatorische Bewegung in diverse kirchlich-konfessionelle Lager zerfiel. Zugleich deutet sich an, dass Karlstadt auch in der Entstehungsgeschichte des Täufertums eine durchaus wichtige Rolle zukam; seine Kontakte zum Zürcher Kreis um Konrad Grebel hatten eine wichtige Funktion bei dieser Entwicklung und waren auch für die Druckgeschichte der Karlstadtschen Publikationsoffensive entscheidend. Mit unserer Edition dürfte erstmals eine plausible werkbiographische Rekonstruktion der relativen Chronologie der Entstehung der einzelnen Texte dieses publizistischen Vorstoßes gelungen sein.

Anhand der Geschichte seiner Ausweisung aus Kursachen zeichnet sich ab, dass das entstehende evangelische Landeskirchentum repressive Züge zu entwickeln und Meinungsvielfalt einzugrenzen beginnt. Der von Karlstadt repräsentierte gemeindereformatorische Reformationstypus kollidierte mit den von Luther vertretenen Tendenzen in Richtung auf ein landesherrliches Kirchenregiment. Insofern erweist sich Karlstadt gerade in jenem Jahr 1524, in dem er seinen bisherigen Wirkungszusammenhang zu verlassen gezwungen wird, als eine Schlüsselfigur, in der sich die Spannungen seines bewegten Zeitalters wie in kaum einer anderen Person spiegeln.

Die Arbeit an diesem Band, der wohl einer der meistbenutzten unserer Ausgabe werden wird, konnte durch das inzwischen hervorragend eingearbeitete und harmonisch zusammenwirkende Karlstadtteam in Göttingen und Wolfenbüttel bestritten werden, dessen nun erreichte Stabilität einen entscheidenden Faktor des Erfolgs darstellt. Dies gilt auch für die neu hinzugekommenen Kollegen Lennart Schulz und Moritz Laeger, die sich schnell und kompetent in die Gruppe eingefügt haben. Ich danke allen gegenwärtigen und früheren Mitarbeitern der Karlstadtedition; ihre Leistungen erfüllen mich mit großer Dankbarkeit. Denn allmählich reift der Traum, den mein Freund Alejandro Zorzin und ich in den späten 1980er Jahren zu träumen begannen, seiner Verwirklichung entgegen.

Thomas Kaufmann

Wissenschaftskolleg zu Berlin, im Juni 2023


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